Minden. Brückenbauer findet man in Minden nicht nur in der Herzog-von-Braunschweig-Kaserne, sondern manchmal auch in Gemeindehäusern. So beim gemeinsamen Abend des Forums Christuskirche und der Demokratiekonferenz: Gastrednerin Prof. Dr. Beate Küpper zeigte sich begeistert von der Vielfalt der Teilnehmenden, die im Gemeindehaus in Todtenhausen zusammengekommen waren und einen Querschnitt durch die ganze Zivilgesellschaft Mindens repräsentierten.

Zehn Jahre Demokratiekonferenz sind es mittlerweile, auch wenn die Moderatoren Bürgermeister a.D. Michael Buhre und Pfarrerin Katja Reichling zur Begrüßung die vergangenen Veranstaltungen erst zählen mussten. Erstmalig fand die vom Lokalen Aktionsplan Minden ins Leben gerufene Konferenz, vermittelt von Superintendent Michael Mertins, gemeinsam mit dem Forum Christuskirche statt. Viel hat sich geändert in diesem Jahrzehnt: Populisten sind in Europa und Amerika an die Macht gekommen. Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. Und auch in Deutschland gewinnen populistische Strömungen immer mehr an Fahrt. Michael Buhre öffnete daher mit einem Warnruf: „Wir haben das Gefühl, wir sind in die Defensive geraten.“

Beate Küpper: „Die Brandmauer ist längst gefallen“

Aus Mönchengladbach in den Mühlenkreis gekommen war Dr. Beate Küpper, Professorin für Soziale Arbeit an der Hochschule Niederrhein und Mitautorin der „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, um in ihren Worten „das Publikum ein wenig zu gruseln“. Ihr Vortrag gestaltete sich daher als humorvoll vorgetragene, aber inhaltlich erschreckende Brandrede: der Anteil der Menschen, die offen rechtsextreme Ansichten teilen und die Demokratie in Frage stellen, steigt scheinbar unaufhaltsam an. Die Strategien der Populisten verfangen. Sorgen, gefühlte Benachteiligung und Wut, oft von Falschinformationen befördert, nähren den Populismus. Demokratische Strukturen werden unterwandert und ausgehöhlt. Antidemokraten stellen sich als Demokraten dar, und jedes demokratische Bekenntnis von Amtsträgern wird schnell als parteipolitische Befangenheit verteufelt.

Ihr Fazit: Demokraten müssten raus aus der Defensive. Mit klarer Kante und gleichzeitig ausgestreckter Hand müssten die antidemokratischen Kräfte abgewehrt, aber die Menschen im Graubereich, die für die Botschaften der Populisten empfänglich sein könnten, wiedergewonnen werden.

Die anschließende Podiumsdiskussion fragte erst nach den Sorgen und Hoffnungen der Teilnehmenden angesichts dieser politischen Großwetterlage. Mit deutlichen Worten gab Superintendent Michael Mertins seinem Entsetzen über den politischen Dammbruch in diesem Jahr Ausdruck. Während das Geheimtreffen einer kleinen Gruppe Rechtsextremer, die im Frühjahr in Potsdam ihren Vertreibungsphantasien freie Bahn ließen, noch Anlass für die größten Demonstrationen der bundesrepublikanischen Geschichte war, konnte bereits in den Landtagswahlkämpfen des Sommers ohne Gegenwind mit dem Slogan „Remigration“ geworben werden. Auch Landrat Ali Dogan sprach mit offener Sorge über die Debattenverschiebung, die selbst gemäßigte Parteien nun über Massenabschiebungen sprechen lässt.

Konkreter und näher am Geschehen im Mühlenkreis äußerte sich Guido Niemeyer: „Was ist, wenn diese ganzen guten Dinge über Haushaltsverhandlungen versacken?“ fragte der  Leiter des Programmbereichs Politik, Gesellschaft und Umwelt bei der VHS mit Blick auf die Finanzierung von Quartiersmanagern, politischer Bildung oder auch Jugendtreffs.

Michael Mertins: „Es ist die Aufgabe der Kirche, die Menschen zusammenzubringen“

Beate Küpper hatte den Wert solcher dritten Orte betont: die öffentlichen Räume, in denen Menschen zusammenkommen und aus der gesellschaftlichen Vereinsamung geholt werden können. Denn Einsamkeit sei eine Bedrohung für die Zivilgesellschaft, und gleichzeitig macht politische Bedrohung einsam, warnte Beate Küpper. Die VHS, Ehrenamt oder Kirchengemeinden seien solche dritte Orte, die aber auch entsprechend ausgestattet sein müssen, wie Guido Niemeyer und Michael Mertins betonten.

In eine unerwartete Richtung entwickelte sich die Podiumsdiskussion, galten doch viele der Fragen nicht dem Landrat, Bürgermeister oder VHS-Fachmann, sondern den Besuchern in der zweiten Stuhlreihe: den zahlreich erschienenen Jugendlichen, besonders vom Jugendforum „Politik für Morgen“, vertreten durch Kolya Moustaffa und Aylin Rescho. „Wir haben offensichtlich das falsche Podium eingeladen“, schloss Michael Buhre angesichts ihrer differenzierten Antworten. Auch Michael Mertins ließ sich von der Begeisterung der jungen Demokraten anstecken:  „Heute Abend habe ich gemerkt: Demokratie macht richtig Spaß.“