Wort zum Sonntag

Das „Wort zum Sonntag“ von Pfarrerinnen und Pfarrern aus dem Mindener Land gibt es in der Samstagsausgabe des Mindener Tagesblatts – und darüber hinaus auch hier.

Kirchen – Wegweiser des Lebens

Mein Lieblingsurlaub: In die Pedale hängen und ab die Post – egal wo und wohin, am besten direkt von zu Hause und einfach drauf los. Gleich vor der Haustür steht die weite Welt offen, findet sich immer ein Pfad, auf dem ich Gottes Natur mit allen Sinnen genießen kann, ungestört von motorisierten (fossil oder regenerativ hin oder her) Zeitgenossinnen. Außer dem Stand der Sonne, der Richtung der Flüsse und gutem Pfadfindergespür brauch‘ ich nur eins: die Türme der Kirchen, die auf dem platten Land als Erste die Lage von Dörfern und Städten verraten.
Gerade im Urlaub können Menschen Kirchen als Wegweiser entdecken, auf der Suche nach dem Woher, Wohin und Wofür des persönlichen Lebens. Kirchen ermöglichen Identität auf mehreren Ebenen, für die persönliche Identität der einzelnen Menschen wie für die kollektive Erfahrung als Gemeinschaft. Mehr als eine Immobilie, sind sie ein Symbol, das Zusammenhalt stiftet, über den individuellen Rahmen hinaus in familiären, nachbarschaftlichen und kommunalen Bezügen. Immer wieder erinnern sie uns daran, dass das Leben mehr ist als was wir vor Augen haben und mehr als das, was wir durch Leistung, Geld oder Zufall erringen.
Wie die fünf Finger einer Hand zeichnen die markanten Türme der alten Kirchen Mindens ein beeindruckendes Panorama des reichen historischen Erbes unserer Stadt, das Besucherinnen von weither anlockt. Als Symbol für die Fundamente des christlichen Glaubens – Glaube, Hoffnung, Liebe – und als Symbol für die tragenden Werte unserer Gesellschaft – Solidarität mit Bedürftigen, Respekt vor anders Denkenden und anders Glaubenden, Gewissensverpflichtung auf Gerechtigkeit und Wahrheit – sind und bleiben sie gerade auch in unserer pluralistischen Zeit das, als was sie einst gebaut worden sind: Wegweiser zum Himmel – und damit zum Leben. Für uns alle. Gerade auch im Bewusstsein der Kirchen, selber immer wieder in die verkehrte Richtung gelaufen zu sein und zu laufen.

Andreas Brügmann

Andreas Brügmann

Pfarrer an der Offenen Kirche St. Simeonis

Urlaubszeit

Die Beine baumeln lassen, gemütlich auf einem Liegestuhl sitzen oder baden im Meer, wandern in den Bergen, die Wolken beobachten, die Vögel am Himmel wahrnehmen, das Leben genießen.
Wenn ich an dieses Lebensgefühl denke, dann kommen mir die Gedanken des Liederdichters Joachim Neander in den Sinn.
1680 dichtet er ein Schöpfungslob, dass seinesgleichen sucht:
EG 504

  1. Himmel, Erde, Luft und Meer zeugen von des Schöpfers Ehr; meine Seele, singe du, bring auch jetzt dein Lob herzu.
  2. Seht das große Sonnenlicht, wie es durch die Wolken bricht; auch der Mond, der Sterne Pracht jauchzen Gott bei stiller Nacht.
  3. Seht, wie Gott der Erde Ball hat gezieret überall. Wälder, Felder, jedes Tier zeigen Gottes Finger hier.

Dieses Loblied fühlt sich an wie ein großes Gemälde und verweist uns zugleich darauf, dass wir es mit Gottes Schöpfung zu tun haben, die wir genießen, in der wir uns erholen. Ein Gemälde aus den Händen Gottes, der uns diese einmalige Schöpfung anvertraut hat, damit wir sie in seinem Sinne bebauen und bewahren.

  1. Seht, wie fliegt der Vögel Schar in den Lüften Paar bei Paar. Blitz und Donner, Hagel, Wind seines Willens Diener sind.
  2. Seht der Wasserwellen Lauf, wie sie steigen ab und auf; von der Quelle bis zum Meer rauschen sie des Schöpfers Ehr.

Wirklich alles kommt aus Gottes Hand, von der kleinen Biene bis zum großen Wal. Diese Bilder entschleunigen mich in meinem Urlaub, laden mich ein, Ruhe und Erholung zu finden. Zugleich aber verweist mich all das, was ich in der Natur erlebe auch auf mich selbst und auf den Schöpfer aller Dinge:

  1. Ach mein Gott, wie wunderbar stellst du dich der Seele dar! Drücke stets in meinen Sinn, was du bist und was ich bin.

Denn Gott ist es, der uns das alles schenkt und anvertraut. Was also bleibt mir zu tun?
Urlaub machen – ja, und zugleich darauf achten, dass ich sorgsam mit dem Umfeld umgehe, in dem ich Urlaub mache, denn: Himmel, Erde, Luft und Meer, zeugen von des Schöpfers Ehr.

Thomas Pfuhl

Thomas Pfuhl

Pfarrer, Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde St. Martini, Bezirk Erlöserkirche

Der Schritt über dem Abgrund – oder: Vom Mut der Wanderfalken

Anfang März waren sie wieder da und hatten Mindens höchst gelegenes Fremdenzimmer im obersten Stockwerk des Marienkirchturms bezogen: die Wanderfalken. Schon Tage später lagen vier Eier im Gelege, aus denen vier flauschige Nachwuchsfalken schlüpften. Und im Mai bot sich wieder dieses jährliche Schauspiel: Vier inzwischen fast ausgewachsene Jungvögel sitzen in einer Reihe auf dem obersten Turmsims und warten, bis der erste den Mut für seinen ersten Flug bekommt. Andere Vögel können das Fliegen üben. Wanderfalken müssen es beim ersten Versuch bereits können. Flieg Vogel oder stirb. Ein Absturz aus 45 Metern Höhe geht nicht gut aus.
Falken sind in der christlichen Symbolik keine Sympathieträger. Sie machen Jagd auf kleinere Vögel, die für uns das Angenehme und Nützliche verkörpern. Singvögel, Insektenfresser und vor allem der Friedensvogel, die Taube, stehen auf ihrer Speisekarte ganz weit oben. Deshalb werden Falken, obwohl sie immer noch geschützt sind, auch heute noch Opfer von Giftanschlägen, Eierraub und Nestzerstörungen durch Menschen.
Wenn Mut und Entschlossenheit gefordert sind, sind Wanderfalken dagegen gute Ratgeber. Die Kirche der Gegenwart steht vor Aufgaben, die nicht aufgeschoben und nicht delegiert werden können und deren Lösung in der Geschichte keine Vorbilder kennt. Es müssen Entscheidungen getroffen werden. Und niemand weiß, ob die Ergebnisse zum erwünschten Ziel führen. Es braucht den Schritt über den Abgrund – mit dem Mut eines Jungfalken. Er ahnt, zum Fliegen geboren zu sein. Sein Weg ist bereits vorgezeichnet. Er sieht ihn aber erst, wenn er startet. Auf der sicheren Seite zu bleiben, ist keine Option. Und Rückblicke sind in dieser Lage fatal. „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Himmelreich“, sagt Jesus. (Lukas 9, 62)
Jedes Jahr Ende Mai bekommen wir Anrufe von aufmerksamen Nachbarn, die einen Jungfalken gerettet haben. Einige dieser ersten Flugversuche enden in Kellereingängen, auf Autodächern, Gartenmauern oder Regenrinnen. Mut braucht das „Wir“. Gescheiterte Versuche brauchen eine nächste Chance. Auch darum weiß die Kirche. Sie kann nie tiefer fallen als in Gottes Hände.

Frieder Küppers

Frieder Küppers

Pfarrer, Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde St. Marien, Bezirk St. Marienkirche