Jeanette Altwegg hätte auch Tennisprofi werden können. Mit siebzehn stand sie im Wimbledon-Finale der Juniorinnen. Mit achtzehn startete sie im Eiskunstlauf für Großbritannien bei den Olympischen Winterspielen in St. Moritz. Und gewann die Bronzemedaille. Das erleichterte ihr die Wahl zwischen Eiskunstlauf und Tennis. Sie wurde Europameisterin, sie wurde Weltmeisterin. Und sie gewann Gold. Bei den Olympischen Spielen in Oslo 1952.
Weshalb ich dieses Eislaufmärchen von anno dazumal erzähle? Wer sich im Eiskunstlauf auch nur einigermaßen auskennt, weiß: das eigentliche Märchen beginnt in der Regel hinterher. Wenn die aktive Laufbahn beendet ist, die Eisrevuen locken. Dann bekommt eine Sportlerin den verdienten finanziellen Lohn für jahrelange Disziplin, Entbehrung und Leidensfähigkeit. 25 000 Dollar wurden der englischen Eisprinzessin für ein erstes Engagement in den USA in Aussicht gestellt. Eine märchenhafte Summe damals.
Jeanette Altwegg entschied sich für einen Wochenlohn von 30 Schweizer Franken. Als Betreuerin von Waisenkindern in einem Pestalozzi-Kinderdorf in Trogen in der Schweiz. Auf wie viel sie verzichtete, lässt sich ziemlich leicht errechnen. Was sie dafür gewonnen hat, weiß nur sie selbst.
Ich will jetzt nicht moralisieren. So nach der Melodie: wie vorbildlich es doch sei, den Verlockungen des Geldes zu widerstehen. Was mich beeindruckt, ist vielmehr die Gradlinigkeit, mit der diese junge Frau ihren Weg gegangen ist. Mag sein, dass sie als Sportlerin das Gefühl hatte, für das Showbusiness nicht geboren zu sein. Mag sein, dass ihr einfach die Lust fehlte, weiterhin Pirouetten nur um sich selbst zu drehen. Jeanette Altwegg wusste jedenfalls, was sie wollte. Tat, was sie für richtig hielt. Nicht, was andere von ihr erwarteten.
Der geneigte Leser möge selbst entscheiden, ob Gott die Lebensspur der jungen Eisläuferin mitgezogen oder – gemäß dem Jesuswort „was ihr getan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan“- in den Waisenkindern des Schweizer „Dörflis“ auf sie gewartet hat.

Jens Burgschweiger
Pfarrer am Bessel-NRW-Sportgymnasium Minden