Gemeinsame Stellungnahme  
des  Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin –  und der  Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union  zum Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung des illegalen Zustroms  von Drittstaatsangehörigen nach Deutschland  (Zustrombegrenzungsgesetz) BT-Drs. 20/12804 

  1. Allgemeine Anmerkungen

Im Zuge einer aufgeheizten öffentlichen Debatte über die Möglichkeiten der Begrenzung von Fluchtmigration bringt die CDU/CSU-Fraktion einen Gesetzentwurf erneut in den Bundestag ein, der am 6. November 2024 bereits einmal abgelehnt wurde.

Die Begrenzung der Fluchtmigration und die Verstärkungen von Abschiebungen sollen dabei helfen, zukünftig Anschläge, wie sie in den letzten Monaten in Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg begangen wurden, zu verhindern. Hierzu schlägt der Gesetzentwurf vor, die Zielbestimmung   der   „Begrenzung   der   Zuwanderung“   wieder   in   § 1   Abs. 1 AufenthG aufzunehmen, § 36a AufenthG dahingehend zu ändern, dass subsidiär Schutzberechtigten kein  Familiennachzug  gewährt  wird,  und  in  § 71  Abs. 3  AufenthG  die  Befugnisse  der Bundespolizei bei Abschiebungen auszuweiten.

Die  beiden  großen  Kirchen  weisen  hiermit  darauf  hin,  dass  die  nun  vorgeschlagenen Gesetzesänderungen nach aktuellem Wissensstand keinen der Anschläge verhindert hätten. Die Attentate von Magdeburg am 20. Dezember 2024 und Aschaffenburg am 22. Januar 2025 wurden von offensichtlich psychisch kranken Personen begangen. Die Taten zeigen aus Sicht der  Kirchen  daher  ein  Defizit  hinsichtlich  des  Informationsaustausches  unterschiedlicher Behörden und einen eklatanten Mangel an adäquater Versorgung psychisch Kranker auf.

  1. Im Einzelnen

Zu § 1 Abs. 1 S. 1 AufenthG-E 

Gemäß  § 1  Abs. 1  S. 1  AufenthG-E  soll  das  Gesetz  künftig  wieder  der  „Steuerung  und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland“ dienen. Die beiden Kirchen weisen darauf hin, dass die Wiederaufnahme des Ziels der Begrenzung des Zuzugs im Widerspruch zu einem Großteil der Regelungen des AufenthG stehen könnte, die den Zuzug von Arbeitskräften auf allen Qualifikationsstufen gerade erleichtern sollen.

Zu § 36a AufenthG-E 

Gemäß   § 36a AufenthG-E   wird   Familiennachzug   zu   subsidiär   Schutzberechtigten   ab Inkrafttreten des Gesetzes nicht mehr gewährt. Laut Gesetzesbegründung ist dies erforderlich, da  „[…]  die  Integrationskapazitäten  in  Deutschland  auf  absehbare  Zeit  in  einem  Maße erschöpft  [sind],  dass  der  Familiennachzug  zu  Personen  mit  subsidiärem  Schutz  bis  auf weiteres zu beenden ist.“

Die Kirchen haben bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass die Familie ein sehr hohes Gut darstellt, das es zu schützen gilt (1). Familie bietet den Raum, in dem Vertrauen wächst und   in   dem   dauerhafte   Verantwortung   füreinander   übernommen   wird (2).   In   diesem Zusammenhang haben die Kirchen auch darauf aufmerksam gemacht, dass das tatsächliche Zusammenleben als Familie zu den sozialen Grundbedürfnissen der individuell betroffenen Familienmitglieder zählt. Dies gilt auch und besonders unter den Bedingungen von Flucht und Vertreibung. Darüber hinaus dient der Schutz von Ehe und Familie auch den Interessen der Gesellschaft  als  Ganzes (3).  Die  Integration  drittstaatsangehöriger  Personen  wird  erheblich erschwert, wenn sie sich um die Sicherheit und das Wohlergehen ihrer zurückgebliebenen Familienangehörigen sorgen müssen.

Aus Sicht der beiden Kirchen ist es rechtlich unerlässlich, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigen unter erfüllbaren Bedingungen zuzulassen, da Art. 6 Abs. 1 GG auch das tatsächliche  Zusammenleben  der  Familienmitglieder  schützt  und  es  sich  nicht  um  ein Deutschengrundrecht   handelt (4).   Auch   Art. 8 EMRK   schützt   das   Zusammenleben   als grundlegenden  Bestandteil  des Familienlebens.  Der   unbefristete   Ausschluss  des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten widerspricht diesen rechtlichen Vorgaben deutlich. Schließlich verletzt die Regelung aus Sicht der Kirchen auch die unionsrechtlichen Vorgaben   der  Familiennachzugsrichtlinie (5).   die  die  Ausübung  des     Rechts  auf Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig im Gebiet der Mitgliedstaaten   aufhalten   (Art. 1 FamZ-RL),   regelt.   Sie   findet   Anwendung,   wenn   der Zusammenführende, der im Besitz  eines von  einem  Mitgliedstaat  ausgestellten Aufenthaltstitels mit mindestens einjähriger Gültigkeit ist, begründete Aussicht darauf hat, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erlangen (Art. 3 Abs. 1 FamZ-RL). Auch wenn der Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Art. 15 ff. Qualifikations-RL (6) zeitlich nach Inkrafttreten der Familienzusammenführungsrichtlinie eingeführt  wurde,  macht  die Familienzusammenführungsrichtlinie  deutlich,  dass  niemand,  dem  ein  unionsrechtlicher Aufenthaltstitel erteilt wurde, dauerhaft vom Familiennachzug ausgeschlossen werden darf.

Subsidiär schutzberechtigt sind nach § 4 AsylG Personen, denen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Hierzu zählen die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter  oder  unmenschliche  oder  erniedrigende  Behandlung  oder  Bestrafung  oder  eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Dieser Personengruppe ist es ebenso wie anerkannten Flüchtlingen nicht möglich, die Familieneinheit in ihrem Herkunftsland zu leben oder wiederherzustellen. In aller Regel ist dies auch in einem Drittstaat   nicht   möglich,   da   hierfür   meist   ein   dauerhafter   legaler   Aufenthalt   der Familienangehörigen erforderlich wäre. Die Regelung des § 36a AufenthG-E schließt einen Familiennachzug  auch  dann  aus,  wenn  die  Voraussetzungen  der  Lebensunterhalts-  und Wohnraumsicherung sowie die sonstigen Voraussetzungen nach §§ 27, 29 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind.

Die  nun  vorgeschlagene  Regelung  würde  für  subsidiär  Schutzberechtigte  somit  eine langjährige bis dauerhafte Trennung bedeuten, weil ein Antrag auf Familienzusammenführung häufig  erst  mit  Erlangung  einer  Niederlassungserlaubnis  nach  § 9 AufenthG  und  damit frühestens fünf Jahre nach Zuerkennung des subsidiären Schutzes möglich wäre.

Zu § 71 Abs. 3a AufenthG-E 

In    § 71    Abs. 3a AufenthG-E    wird    für     die    Bundespolizei    eine    Zuständigkeit        für aufenthaltsbeendigende Maßnahmen begründet. Die beiden Kirchen können das Ziel des Gesetzgebers,           „[…]          zuständigkeitsbedingte Brüche      im        Bearbeitungsprozess       durch Schnittstellenreduzierung [zu vermeiden]“, gut nachvollziehen. Die vorliegende Regelung wirft jedoch  die  Frage  auf,  ob  sie  nicht  eher  dazu  geeignet  ist,  Verwirrung  hinsichtlich  der Zuständigkeit  und  hinsichtlich  des  Ablaufs  des  Verfahrens  zu  schaffen.  Denn  durch  die Zuständigkeitsübertagung auf die Bundespolizei nach § 71 Abs. 3a S. 1 AufenthG-E werden parallele Zuständigkeiten zwischen Bundespolizei und Ausländerbehörden geschaffen. Aus Sicht der Kirchen ist es unklar, welche Behörde in welchem Fall die Federführung übernehmen muss. Diese Frage stellt sich vor allem in komplexen Fällen, bei denen zusätzliche rechtliche oder   tatsächliche   Aspekte   berücksichtigt   werden   müssen.   Zudem  ist   unklar,  ob   die Bundespolizei  durch  die  Einbeziehung  der  Ausländerbehörde,  wie  sie  im  § 71  Abs. 3a S. 1 AufenthG-E vorgesehen ist, die rechtliche Prüfung der Ausländerbehörde überlassen muss oder sie diese selbst unter Einbeziehung der Meinung der Ausländerbehörde tätigen muss

Zusätzliche Absprachen zwischen Bundespolizei und Ausländerbehörden können zudem zu längeren Verfahrensabläufen und verzögerten Entscheidungsprozessen führen. Aus Sicht der Kirchen  ist  darüber  hinaus  fraglich,  ob  die  Bundespolizei  über  die  nötige  personelle Ausstattung verfügt.

Der Gesetzentwurf ist aus Sicht der Kirchen daher nicht geeignet, zur Lösung der anstehenden migrationspolitischen Fragen beizutragen.

Berlin, den 28. Januar 2025

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1 Gemeinsame Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung im Hauptausschuss zum Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU „Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten“ (BT-Drs. 19/439) u.a.; Gemeinsame Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung im Innenausschuss zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (Familiennachzug zu subsidiär Geschützten) (BT-Drs. 18/10044) u.a., Gemeinsame Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (BT-Drs. 18/7538).

2 Siehe beispielsweise Nachsynodales Apostolisches Schreiben AMORIS LAETITIA des Heiligen Vaters Papst Franziskus, 19.3.2016, S. 36, dort unter Verweis auf Päpstlicher Rat für die Familie, Charta der Familienrechte, 22.10.1983, Einführung.

3   Siehe   Erwägungsgrund   4   der   Richtlinie   2003/86/EG   des   Rates   vom   22.9.2003   betreffend   das   Recht   auf Familienzusammenführung, L 251/12.

4 BVerfGE 62, 323 (330); BVerfGE Beschluss v.12.5.1987, 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84.

5 Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22.9.2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung, L 251/12.

6 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, L 337/9.