Vor einem Monat geriet ich in Nordirland in eine Parade zum „Orangemen’s Day“. Mit Kind und Kegel sowie gepackten Picknickkörben erinnerten die Protestanten an ihren Sieg über die Katholiken vor 334 Jahren. Mich hat das befremdet. Gefeiert wurde nicht das Karfreitagsabkommen, das 1998 zu einem Ende des blutigen Nordirlandkonflikts führte. Im Mittelpunkt stand vielmehr der Sieg der einen über die anderen.
Die Bibel sieht Christinnen und Christen als Botschafter*innen der Versöhnung. Der Unfrieden und die Ungerechtigkeit in dieser Welt können uns nicht kalt lassen. Allerdings können tiefgreifende Konflikte nur gelöst werden, wenn die tiefen Verletzungen, die dahinter stehen, geheilt oder zumindest nicht noch verschlimmert werden.
Im 2. Korintherbrief beschreibt der Apostel Paulus unser gestörtes Gottesverhältnis als eigentliche Ursache der Unversöhnlichkeit zwischen Menschen. In unserem Land gerät das mehr und mehr aus dem Blick. So wird das Zusammenleben der Menschen gerade nicht besser, wenn sie die „Fesseln der Religion“ abgeworfen haben. Vielmehr fehlt an vielen Stellen die versöhnende Kraft, die in der biblischen Botschaft steckt. Versöhnung beginnt da, wo ich in der oder dem anderen einen von Gott geschaffenen und geliebten Menschen erkenne.
Grund zum Feiern sehe ich nicht, wenn wir uns an alte Siege erinnern. Sondern wenn wir dankbar dafür werden, dass wir in Frieden und Freiheit zusammen leben können. Insofern haben wir in Deutschland allen Grund dazu, uns dankbar an die Befreiung durch die Alliierten zu erinnern. Sie haben der Nazi Herrschaft und deren menschenverachtender Ideologie ein Ende gesetzt. Und anschließend haben sie uns für einen Neuanfang die Hand gereicht und uns nach Kräften unterstützt. Dafür könnte ich mir mal eine Parade mit Familienfest und Picknick vorstellen. Leider sind wir Deutschen an der Stelle ein bisschen zu geschichtsvergessen.

Pfarrer Thomas Lunkenheimer

Pfarrer Thomas Lunkenheimer

Theologischer Vorstand der Diakonie Stiftung Salem