„Kraxeln ist man in meinem Beruf gewöhnt“, sagt Johanna Niederbiermann vom Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen mit nur einem Hauch Übertreibung: Aktenberge sind für die Bielefelder Archivarin ein Berufsrisiko. Auf Wunsch des Kirchenkreises Minden ist sie ins Haus der Kirche gekommen, um den Aktenbestand der letzten Jahrzehnte zu sichten. Vom Keller bis unters Dach warten dort Dokumente auf ihren Fachfrauenblick.
„Für uns ist der Besuch aus Bielefeld der nächste Schritt in einem Prozess, den wir schon im letzten Jahr begonnen hatten“, sagt Dietrich Trölenberg, Verwaltungsleiter des Kirchenkreises. Sein Vorgänger, Ulrich Schlomann, hatte noch vor seinem Wechsel in den Ruhestand den Anstoss gegeben und eigene Aufräumtage für die Verwaltung im Rosental ausgerufen. In einer konzertierten Aktion konnten die Mitarbeitenden in den vielfältigen Arbeitsbereichen mit anpacken und die Akten und Dokumente in ihren Bereichen gemeinsam sammeln, sichten und bewerten.
„Jeder hat mit angepackt. Besonders schön anzuschauen war die Aktion in der Finanz- und Haushaltsabteilung“, erinnert sich Trölenberg. Der Art der Arbeit geschuldet fallen dort die meisten Dokumente an. „Die Kolleginnen haben bis hinunter in unsere Sammelstelle eine Menschenkette gebildet und die Akten Stück für Stück weitergereicht.“ Doch auch nach dieser ersten Sichtung der Büros blieben noch viele Regalmeter Dokumente im Haus der Kirche.
Johanna Niederbiermann ist beim Landeskirchlichen Archiv verantwortlich für die Kirchenkreise im nördlichen Ostwestfalen. Sie berät Kirchenkreise und Gemeinden beim Umgang mit den vielen, oft historisch bedeutsamen Dokumenten, die in der kirchlichen Arbeit über die Jahrzehnte und Jahrhunderte angefallen sind und noch immer anfallen. Die Schriftstücke, die sie ins Archiv übernimmt, bleiben dort für Familienforscher, professionelle Historiker oder auch die laufende Verwaltung erhalten, potenziell auf viele hundert Jahre.
Die historischen Dokumente des Kirchenkreises lagern bereits in den klimakontrollierten und sicheren Depots des Landeskirchlichen Archivs. Es sind Schriftstücke besonders der Superintendentur aus vier Jahrhunderten, „seit genau 1651“, präzisiert Niederbiermann. Sie erwartet bei ihrem Besuch in Minden daher eher Schriftgut aus den letzten fünfzig Jahren.
Die Vielfalt der Arbeitsbereiche spiegelt sich auch in der Vielfalt der Schriftstücke wider. „Solch ein Einsatz auf der Ebene eines Kirchenkreises ist schon etwas Besonderes“, sagt die Fachfrau aus Bielefeld. „Unser Regelfall ist die Arbeit mit einzelnen Kirchengemeinden, und da ähneln sich die Arten der Dokumente oft. Man weiß, von Ausnahmen abgesehen, was einen erwartet.“ Nicht so im Haus der Kirche, wo jede Abteilung unterschiedliche Arten von Dokumenten produziert. Mit unerwarteten Handwerkszeug bewaffnet – einem Filzschreiber – sichtet sie diese Akten. Mit einem „A“ markiert sie Schriftstücke von archivalischem Wert. Auf Dokumenten, die dieses Prädikat nicht erhalten, prangt dann ein „K“. „Das steht für ‚Kassiert‘ oder, unter Archivaren gesprochen, für ‚Kann weg‘“, lacht die Archivarin. Diese Schriftstücke gehen zurück an den Besitzer, der prüfen muss, ob sie aus praktischen Überlegungen noch aufbewahrt werden sollten, oder sie schließlich entsorgen lassen kann, natürlich mit der datenschutzrechtlich geboten Vorsicht.
Das Landeskirchliche Archiv übernimmt die restlichen Schriftstücke als Deposita. „Sie bleiben im Besitz des Urhebers, aber wir haben mit dem Kirchenkreis Minden einen Depositalvertrag, dass wir die Schriftstücke aufbewahren, katalogisieren und natürlich unseren Nutzern zur Verfügung stellen“, erklärt Johanna Niederbiermann. Wann das geschieht, kann die Archivarin nicht mit Bestimmtheit sagen. Ihr Termin in Minden ist nur die erste Sichtung der Situation. Darauf folgt die Bewertung der Akten und ihre Überführung nach Bielefeld, wo sie bearbeitet und gesichert werden, bevor sie im Depot des Landeskirchlichen Archivs landen.
(Text: Kevin Potter / Evangelischer Kirchenkreis Vlotho, Bild: pixabay)