Sonntags hatte ich immer Geld in der Tasche. Das war der Wochentag, an dem von dem eisernen Grundsatz meiner Mutter „Wir haben hier alles, was du brauchst. Wozu also Taschengeld?“ abgewichen wurde. Ich hatte Geld in der Tasche! Zwei Geldstücke für die Kollekten im Gottesdienst und mehrere kleinere für die Eisdiele im Ort. 30 Pfennig für eine große Kugel oder drei kleine Kugeln Eis jeweils im Hörnchen. Für die Kollekte gab es 1 Mark. Das wäre sehr viel Eis gewesen….Aber hierbei ging es um etwas anderes. Um den guten Zweck. Das sagte mir damals wenig. Auch der Begriff Gerechtigkeit war mir sprachlich fremd, aber als Geschwisterkind erfahrungsmäßig vertraut. Was heißt Gerechtigkeit zu üben? Zum Beispiel, sich für andere einzusetzen, denen Unrecht geschieht. Darüber finden wir viele Aussagen und Geschichten in der Bibel. Jeden Sonntag wird im Gottesdienst die Kollekte zur ausgleichenden Gerechtigkeit eingesammelt. Eine Bargeldspende, die die diakonische und gemeinschaftliche Dimension christlichen Lebens aufzeigt. Eine Segensgabe soll sie sein, schreibt der Apostel Paulus, die mit Dankgebeten für die Güte Gottes begleitet wird. So wird ein bisschen mehr Gerechtigkeit mit kleiner Münze hergestellt.
Heute fragen wir nach Klimagerechtigkeit und nach weltweiter wirtschaftlicher Gerechtigkeit. Sehr komplexe Zusammenhänge werden hier diskutiert. Die kleine Münze reicht da nicht. Oder doch? Was Christinnen und Christen im Gottesdienst Kollekte nennen, heißt in diakonischem Zusammenhang Katastrophenhilfe, wie sie jetzt wieder im eigenen Land benötigt wird. Aber auch Crowdfunding, wenn zum Beispiel viele zusammenlegen, um über Aktienfonds „grüne“ Vorhaben wirtschaftlich um zu setzen. Viele kleine Münzen zusammengelegt, führen mit sehr verschiedenen Projekten zu mehr Gerechtigkeit. Immer gilt: Zum jetzigen Zeitpunkt sollt ihr mit eurem Überfluss dem Mangel der anderen abhelfen. Später kann dann einmal deren Überfluss eurem Mangel abhelfen. So kommt es zu einem gerechten Ausgleich. (2. Kor.8,14)
Und mein Eis habe ich nach dem Gottesdienst mit Genuss gegessen.
Ulrike Lipke
Pfarrerin, Schulreferat Minden