Liebe Leserinnen und Leser,

die Diakonie Stiftung Salem ist genauso wie der Ev. Kirchenkreis Minden Teil unserer Gesellschaft. Auch in Diakonie und Kirche gibt es viele Menschen, die sich gegen Covid-19 impfen ließen und las­sen – und andere, die diese Schutzimpfung ablehnen, obwohl dafür bei ihnen keine medizinischen Gründe vorliegen. Mich irritiert das. Ich kann es gar nicht be­grei­fen! Wer für die Diakonie Stiftung Salem arbeitet, z.B. in der statio­nären oder ambu­lan­ten Pflege oder auch in anderen Arbeitsbereichen, der oder die hat doch täglich Men­schen vor Au­gen, die besonders gefährdet wären, wenn sie sich ungeimpft mit Covid-19 infizieren würden. Und auch in den Kirchenge­mein­den und in den Arbeitsfeldern der Synodalen Dienste begegnen Mitarbeiter/innen täglich vielen Menschen, bei denen ohne Schutzimpfung das hohe Risiko eines schweren In­fek­tions­ver­laufs bestehen würde. Inzwischen besteht die­ses Risiko ja zu­neh­mend auch für junge Erwachsene ohne Vorerkrankungen, wie die Be­leg­situation der Intensivstationen – übrigens auch im Mindener Klinikum – zeigt. Von die­sen Covid-Patienten/innen sind mehr als 90 % nicht geimpft. Dennoch lehnen ein­zel­­ne Mitar­bei­ter/innen auch in der DSS und in Kirchengemeinden noch immer die rettende Schutzimpfung ab! Warum? Warum ist die Angst vor befürchteten Nebenwirkungen der Impfung größer als die Angst vor den schrecklichen Infektionsfolgen, die einem doch tagtäglich vor Augen steh­en, wenn man hinsieht – ganz zu schweigen von den Langzeitfolgen, unter denen viele leiden müs­­­­sen, die von einer Covid-19-Infektion genesen sind aber auf Dauer z.B. nicht mehr richt­ig schmecken oder riechen können. Gegen die weltweite Pandemie ha­ben wir in Deutsch­land genug rettenden Impfstoff für alle zur Verfügung – Impf­stoff, der in den Entwick­lungs­ländern dringend benötigt wird. Bei uns aber muss er weg­gekippt werden, weil Menschen die Impfung verweigern. Wie kann das sein? Ja, es gibt schlimme Fake-News, Lügen und Hassparolen, mit denen sogenannte „Quer­denker“ Angst und Verunsicherung insbesondere in den sozialen Medien verbreiten. Darauf will ich hier gar nicht eingehen. Da kann ich nur jeder und jedem raten, der Vernunft und den wissenschaftlich fundierten Informationen, nicht aber den Angstma­chern zu trauen. Diese verfolgen politische Ziele und nutzen die Angst der Leute aus. Denen will ich hier gar keine weitere Aufmerksamkeit schenken. Aber denjenigen, die religiöse Beweg­gründe gegen das Impfen anführen, schon. Auch sie tragen mit dazu bei, dass unser Land­kreis seit einiger Zeit die höchste Inzidenz in ganz NRW hat (Stand heute, 41. KW). Dazu kann und muss ich als Theologe und Superintendent etwas schreiben. Denn es ist theologisch völlig falsch, wenn sich Menschen nicht impfen lassen, weil sie diese Ver­weigerung für ein frommes Gottvertrauen halten. Gott werde sie schon schützen und wenn nicht, dann sei es eben sein Wille; Impfen dagegen rechne weniger mit Gott und seiner Hilfe. Wer so denkt, der oder die verhöhnt Gott, der seine Schöp­fung er­hal­ten will. Gott will, „dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahr­heit kommen“ (1.Timotheus 2,4). Gott will, dass seine Menschenkinder gesund leben kön­nen. Wenn jemand erkrankt und schweres Leid tragen muss, dann ist das nicht etwa Got­tes Strafe (vgl. Johannes-Evan­gelium 9,1-7; Lukas-Evangelium 13, 1-5). Es ist gar nicht fromm, sich nicht impfen zu lassen, um auf Gottes Hilfe zu warten, während Gott uns mit dem Impf­stoff doch längst seine Hilfe an­bietet. Ich danke Gott jeden Tag dafür, dass er meine fleh­en­den Gebete um Rettung aus die­ser Seuche erhört hat. Wie viele andere habe auch ich täglich darum gebetet, dass Gott die Arbeit der Wissenschaftler/innen segnen möge, damit wir bald einen wirksamen Schutz ge­gen Corona haben. Nun ist es in Rekordzeit gelun­gen, alle not­wen­digen Testreihen abzu­schließen und wirksamen Impfstoff für alle in unserem Land bereit zu stellen. Anzunehmen, der Impfstoff sei unsicher, weil er in relativ kurzer Zeit erforscht und zugelassen wurde, das ist pure Angst und entbehrt jeglicher wissen­schaftli­chen Grund­lage. Wer so denkt und die Impfung verweigert, versäumt es, Gott dafür zu danken, dass gute Schutzimpfungen jetzt schon möglich gemacht worden sind. Gott hilft uns bereits. Wir ver­pas­sen seine Hilfe, wenn wir stattdessen das Impfen und Gottes Schutz als Alternativen ver­stehen. Wer so denkt und Impfen ablehnt, der oder die vertraut gar nicht auf Gott, sondern ver­sucht ihn und fordert von Gott einen anderen Schutz ein als den, den Gott uns schon längst darreicht. Es war ja der Teufel in der Wüste, der von Jesus ver­langte, so fromm zu sein, dass er im Vertrauen auf Got­tes Schutz sich leichtfertig in die Tiefe stürzen sollte. Gott werde ihn schon schützen. Jesus aber widerstand dem Versucher und zitierte das Alte Testa­ment: „Du sollst Gott nicht ver­­suchen“ (vgl. Matthäus-Evangelium 4,5-7). Es gibt eine ver­meintliche Frömmigkeit, die Jesus selbst als falsch zurückweist. Ich erlebe sie in diesen Ta­gen im Kreis Minden-Lübbecke bei religiös motivierten Impfgegnern/innen.

Die persönliche Meinung ist in unse­rem Land frei – Gott sei es gedankt. Aber die Haltung zur Corona-Schutzimpfung ist m.E. nicht Sache der Privatmeinung. Wenn es keine medizini­schen Gründe gibt, die gegen die Schutzimpfung sprechen, ist diese keine Geschmacksfrage,  zu der man als Christenmensch diese oder eine andere Haltung einnehmen kann. Denn es geht um die Gesundheit, ja um das Leben – um mein eigenes und das meiner Mitmenschen! Dazu hat Jesus verbind­lich das Nötige gesagt: „Du sollst Gott lieben über alle Dinge und deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“  (Markus-Evangelium 12,29-31). Mit der Schutz­impfung schütze ich mich selbst und meinen Nächsten, dem ich bei der täglichen Arbeit in Diakonie oder in Kirche begegne. Deshalb lässt sich das evangelische Profil von Diakonie und Kirche nicht vereinbaren mit der Ab­leh­­nung der Schutzimpfung aus religiösen Gründen.

Manche lehnen die Imp­fung ab, weil sie staatlichen Anweisungen nicht trauen. Das hat da­mit zu tun, dass sie selbst oder ihre Vorfahren schlimme Erfahrungen mit den totali­tären Re­gimen in der ehemaligen UDSSR oder DDR machen mussten. Andere sind aktuell vor Will­kürherrschaft und staatlichem Unrecht in ihren Heimatländern geflohen. Deshalb sind sie nun besonders vorsichtig, wenn der Staat Impfungen empfiehlt. Wir leben aber hier und heute – Gott sei es gedankt – in einem freiheitlichen Rechtsstaat. Es ist an der Zeit, dass die üblen Machthaber der Vergangenheit ihren bösen Einfluss verlie­ren und die verletzten See­len endlich frei wer­den von den früheren Einschüch­te­rungen. Wer sich trotz übler Unrechts­regime in anderen Ländern nun hier und heute impfen lässt, der oder die ist schon frei und kann Verant­wortung für sich und für seine Mitmen­schen übernehmen. Er oder sie folgt der freien Vernunft und praktiziert Jesu Gebot der Nächstenliebe. Wer aber ohne medizinische Not die Impfung ver­weigert, weil er mit „denen da oben“ schlechte Erfahrungen erinnert, der oder die lässt den totalitären Regimen der Ver­gangenheit ihren späten Triumph.

Ich wünsche uns allen, dass wir uns nicht von Ängsten sondern vom Vertrauen in Gott leiten lassen und der Nächstenliebe unter uns Raum geben. „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus“ – denn: „Gott ist die Liebe“ (1. Johannesbrief 4,16.18). Nicht die Angst, die sich verweigert, sondern die Liebe, die Verantwortung über­nimmt, wird unserer Gesellschaft gut tun und die Risse heilen. Darum bitte ich Sie: Wenn bei Ihnen medizinisch nichts dagegen spricht, dann lassen auch Sie sich impfen. Helfen Sie mit, die Seuche zu überwinden. Das hat Gottes Verheißung!

Ihr Michael Mertins

(Beitrag von Superintendent Michael Mertins für die aktuelle Ausgabe des Magazins „Diakonie im Blick“ der Diakonie Stiftung Salem; Bild: pixabay)