Jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Heute heißen sie: Klimawandel, Corona, Krieg in der Ukraine, Preissteigerungen, Gasknappheit und die Liste ließe sich noch um einige weniger schlagzeilenträchtigere Krisen verlängern.

Zur Zeit Jesu gehörten Witwen zu den Verlierern in der Gesellschaft. Als verheiratete Frauen waren sie zwar versorgt aber zugleich völlig abhängig von ihren Ehemännern. Starb der Mann und konnten diese Frauen aufgrund ihres Alters keine Kinder mehr gebären, waren die Frauen der Altersarmut ausgeliefert. Soziale Absicherung? – Fehlanzeige. Dazu Seuchen, Besatzung durch die Römer, Kriege, Hunger, …

Eines Tages beobachtet Jesus mit seinen Anhängerinnen und Anhängern eine solche Witwe, die im Jerusalemer Tempel einige Münzen in den Spendenkasten einlegt. Ihm ist die soziale Lage der Frau vollends bewusst und so sagt er zu seinen Anhängerinnen und Anhängern: „Diese arme Witwe hat mehr gegeben als alle anderen. Denn alle anderen haben nur etwas von ihrem Überfluss als Spende gegeben. Aber diese Witwe hat alles gegeben, was sie zum Leben hat.“ Hier endet die Begebenheit mit dieser Frau. Jesus greift nicht ein, wie er es sonst tut, um Notleidenden zu helfen. Das finde ich nicht gut. Stattdessen kommentiert er die Szene und darin liegt eine leise, aber dennoch klare Kritik der Verhältnisse. Viele geben von ihrem Überfluss; sie, die verwitwete Frau, gibt alles. Ihr bleibt nichts.

Und heute? – Was bleibt Menschen in unserer Gesellschaft angesichts der andauernden Krise aus vielen Krisen? Die, die genug haben, bekommen noch mehr; und viele werden bald alles geben, um zu überleben. Das hat sich wohl nicht geändert. Und die Kritik bleibt leise und zeigt damals wie heute wenig Wirkung. Vielleicht aber ist es gut, dass diese Kritik so leise ist. Sie verzichtet auf die Gewalt und die Sprache der Revolution. Sie benennt aber zugleich das Unrecht, das zu allen Zeiten zwischen den Vermögenden und den Bedürftigen besteht. Sie öffnet Handlungsspielräume etwas zu verändern; und dass Jesus damals nicht eingreift und Gott heute schweigt, verlangt von Menschen endlich etwas zu tun, nachhaltig, heilsam, gemeinschaftsstiftend und versöhnend, dann könnte Leben gerettet und Friede werden; im Land und der Welt.

Christoph Kretschmer

Christoph Kretschmer

Schulpfarrer am Freiherr-vom-Stein-Berufskolleg