Minden. Von vielen guten Begegnungen können Superintendent Michael Mertins, Pfarrer Daniel Brüll und Volker Böttcher berichten: Gerade sind sie von einer Reise nach Lemberg (= Lwiw) in der Ukraine zurückgekehrt. Überall seien sie freundschaftlich und gastfreundlich empfangen worden, erzählen sie.

Wie kam es zu der Reise in das vom Krieg gequälte Land? Daniel Brüll war seit Beginn des Kriegs schon sechsmal in der Ukraine. Als gebürtiger Pole hatte er vor 13 Jahren erste Kontakte nach Lemberg geknüpft, das etwa 70 Kilometer entfernt von der polnischen Grenze  liegt. Diese Kontakte nimmt er seit Kriegsbeginn immer wieder zum Anlass, Spenden in die Ukraine zu bringen. Mittlerweile besteht ein kleines Netzwerk, das dafür sorgt, dass Hilfsgüter wie zum Beispiel Verbandsmaterial und Medikamente von Lemberg bis an die Front gelangen. In Brülls Gemeinde daheim, in Petershagen, finden regelmäßig Friedensgebete für die Ukraine statt. Dort sind bereits mehr als 40.000 Euro an Spendengeldern zusammengekommen. Dort entstand auch der Kontakt zu Volker Böttcher, der nun schon zum zweiten Mal gemeinsam mit Brüll die weite Reise antrat.

Für Superintendent Michael Mertins war es die erste Reise in die Ukraine. Seine Gründe dafür, mitzufahren, bringt er so auf den Punkt: Es sei ihm darum gegangen, den Ukrainerinnen und Ukrainern zu zeigen, „dass wir an ihrer Seite stehen und sie nicht vergessen haben“.

An den vier Tagen vor Ort in Lemberg haben die drei Reisenden viel gesehen und viele Menschen getroffen. Den Metropoliten von Lemberg, Makarij, haben sie besucht, eine Reha-Einrichtung für verwundete Soldaten besichtigt und eine Notunterkunft für Inlandsflüchtlinge gesehen. Auch auf einem Ehrenfriedhof für gefallene Soldaten (Foto) und in einem Sonntagsgottesdienst sind sie gewesen. Im Gottesdienst hat Mertins ein Grußwort gesprochen. Ein junger Mann, der Deutsch studiert hat, konnte es für ihn übersetzen.

Was spürt man in Lemberg, rund 1.000 Kilometer von der Front entfernt, vom Krieg? „Bombenalarm hat es hier bislang zweimal gegeben“, berichtet Brüll. Lemberg sei eine sehenswerte und reizvolle Stadt mit rund 700.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, die vor dem Krieg ein beliebtes Ziel für Städtereisen war.

Touristen aus dem Ausland kommen heutzutage nicht mehr nach Lemberg. „Eine schöne und lebendige Stadt ist Lemberg aber nach wie vor.“ Die Leute sitzen in der Sonne, essen Eis, gehen ins Café. Ein Mangel an Lebensmitteln oder gängigen Verbrauchsgütern besteht nicht. Trotzdem ist der Krieg allgegenwärtig. Morgens um 9 Uhr wird – wie überall in der Ukraine – eine Schweigeminute eingelegt. Generell sieht man mehr Frauen als Männer in der Stadt. Es sind viele Rollstuhlfahrer unterwegs, man sieht häufig Menschen, denen Gliedmaßen fehlen. Es gibt Stromabschaltungen und Sperrstunden, vor den Kellerfenstern liegen Sandsäcke als Splitterschutz für den Fall, dass eine Bombe einschlägt. Wegen der vielen Rollstuhlfahrer ist das historische Kopfsteinpflaster an vielen Stellen abgeschliffen worden. Nahezu täglich wird ein gefallener Soldat bestattet. Zuvor wird er in der Garnisonskirche aufgebahrt und für ihn wird eine Andacht gehalten. Anschließend bringt man den Sarg durch die Stadt am Rathaus vorbei durch die Stadt zum Friedhof. Wer einem solchen Trauerzug begegnet, kniet aus Respekt vor dem Toten nieder.

Die Menschen in Lemberg leben also nicht in ständiger Todesangst wie in den Städten im Osten des Landes. Trotzdem ist der Krieg allgegenwärtig und trotzdem hängt eine dunkle Wolke aus Trauer und Sorge über der Stadt.

Was hat die drei Reisenden aus Minden und Petershagen besonders beeindruckt? Michael Mertins ist noch immer sehr bewegt davon, dass es, wie er gehofft hatte, über alle Sprachbarrieren hinweg möglich war, den Menschen in Lemberg so etwas wie Mitgefühl, Solidarität und Hoffnung zu vermitteln. Vielen hat er eins von den Kreuzen geschenkt, die ein Mindener Pfarrer aus alten Kirchenbänken herstellt. Diese Geste sei den Menschen sehr zu Herzen gegangen und die mit den Kreuzen verbundene Botschaft sei aus seiner Sicht auch ohne Worte problemlos angekommen: „Es gibt Leid, aber zugleich Hoffnung auf das Leben“.

Volker Böttcher hebt seine Eindrücke aus dem „Flüchtlingsdorf“ hervor. Anders als in Deutschland gibt es um die Wohncontainer herum keinen Zaun und keine Hecke. Das Gelände ist nach allen Seiten offen, es bestehen keine Berührungsängste zwischen den Menschen aus Lemberg und den Geflüchteten. Unternehmer aus Lemberg und Umgebung, die Arbeitskräfte brauchen, stellen ohne bürokratische Umstände Geflüchtete ein.

Daniel Brüll fühlt sich besonders der Reha-Einrichtung für verwundete Soldaten verbunden, die in einem früheren Kloster entstanden ist. Das Kloster liegt etwa 70 Kilometer von Lemberg entfernt in Morshin und Brülls Gemeinde in Petershagen hat die dortige Arbeit schon verschiedentlich mit Spenden unterstützt. Aktuell bemüht sich eine Stiftung darum, die Reha-Einrichtung bis zum Winter mit einer Gasheizung auszustatten. Bislang wurde dort elektrisch geheizt, was sehr teuer und wegen der immer wieder vorkommenden Stromabschaltungen unsicher ist. Für den Anschluss an das Gas-Versorgungsnetz werden noch rund 25.000 Euro benötigt. Brüll, Mertins und Böttcher wollen nun gemeinsam für dieses wichtige Projekt um Spenden werben. „Auch das ist eine Möglichkeit, den Ukrainerinnen und Ukrainern zu zeigen, dass wir an ihrer Seite stehen und sie nicht vergessen haben“, sagt Mertins.