Vor vielen Jahren machten wir auf einer Mädchenfreizeit eine Nachtwanderung durch den Wald. Als wir im Dunkeln über Baumwurzeln steigen mussten, lernte ich mit den Füßen zu ‚sehen‘. Ein paar der Kinder bekamen Angst im Dunkeln. Sie wünschten sich eine Taschenlampe. Wir hatten aber keine und so sagte ich: „Habt keine Angst! Wir fassen uns jetzt alle an den Händen und helfen einander. Das ist besser als jede Lampe.“ und sofort klammerten sich kleine Hände an meine. Ich hielt sie fest und redete weiter beruhigend auf sie ein. Ich konnte fühlen, wie sie Vertrauen fassten und sich entspannten. Als wir aus dem Wald kamen war die Angst vergessen und sie waren stolz auf das Abenteuer, das wir gemeinsam bestanden hatten.
So wie damals im Wald fühlt sich dieses Jahr der Schritt über die Schwelle des neuen Jahres an. Nach einem Jahr, in dem so viele Sicherheiten ihre Zerbrechlichkeit gezeigt haben – der Angriff auf die Ukraine stellte die lange Friedenszeit in Europa in Frage, die Energiesicherheit und den stetig wachsenden Wohlstand. Mancher fragt sich bange: Was wird das neue Jahr mir bringen? Woher den Mut und den Glauben für die Herausforderungen der Zeit nehmen?
Mich begleitet schon länger die Worte einer unbekannten chinesischen Beterin: „Ich sagte zu dem Engel, der an der Pforte des neuen Jahres stand: Gib mir ein Licht, damit ich sicheren Fußes der Ungewissheit entgegengehen kann! Aber er antwortete: Gehe nur hin in die Dunkelheit und lege deine Hand in die Hand Gottes! Das ist besser als ein Licht und sicherer als ein bekannter Weg!“
Als Christin gibt mir mein Glaube nicht mehr Informationen über die Zukunft als anderen. Er lehrt mich aber Gottes Hand zu ergreifen – d.h. mich in das Vertrauen auf Gott einzuüben – und mit diesem Halt, den Weg durch die Dunkelheit der Zukunft zu ertasten. Und meine Hand anderen zu reichen, die ebenfalls unterwegs sind. Ich weiß, das ist anspruchsvoll und ich kann alle verstehen, die sagen: Ich hätte aber doch gerne eine Taschenlampe! Deshalb möchte ich Sie alle und auch mich selbst ermutigen an der Schwelle des neuen Jahres die Hand ins Dunkel der Zukunft auszustrecken und Gottes Hand zu ergreifen. Und nach den Händen der anderen zu tasten, die mit uns auf dem Weg sind. Dann können wir erleben, dass das Licht von Weihnachten, das Licht der Liebe Gottes auch unsere Dunkelheit erhellt. Und dann sagen wir vielleicht am nächsten Sylvester: ‚Ja, das war wirklich besser als ein Licht und sicherer als ein bekannter Weg!‘
Ich wünsche Ihnen allen ein gesegnetes Jahr 2023, bleiben Sie behütet!
Katja Reichling
Pfarrerin an der Christuskirche Todtenhausen/Kutenhausen