Die Kirchenglocken läuten oft – zu bestimmten Tageszeiten, zu jedem Gottesdienst, zu allen Andach-ten, zu Trauungen, Taufen, Beerdigungen. In den Dörfern rund um Minden oft auch, wenn ein Gemeindeglied verstorben ist.
Glocken künden von etwas Besonderem – von Krieg, von Bränden, Unwetter und Gefahr und auch vom Frieden, vom Jahreswechsel.
Glocken hängen oben im Kirchturm, damit sich ihr Klang über weite Strecken ausbreitet. Schön, der Kirchturm als optisches Signal, schon von weitem zu sehen, und die Kirchenglocken, ein akustisches Signal, weithin zu hören.
Ich wohne mitten in der Innenstadt und ich stimme zu: Ja, die Glocken läuten oft und sind weithin zu hören, St. Marien, St. Martini, der Dom.
Manchen Menschen läuten die Kirchenglocken zu oft. Sie fühlen sich gestört, wenn sie morgens schlafen möchten oder wenn sie sich draußen unterhalten wollen. Sie empfinden das Glockengeläut als Lärmbelästigung.

Viele Presbyterien kennen die Briefe, in denen sich Menschen mal höflich, mal weniger höflich über das Glockengeläut beschweren und mit einer Klage drohen.
Dadurch zu vermeintlichem Recht zu kommen, ist gering. Zum einen ist in Wohngebieten bis zu be-stimmten Lärmrichtwert Glockengeläut erlaubt, zum anderen urteilte das Bundesverwaltungsgericht Glockengeläut sei eine „zumutbare, sozialadäquate und allgemein akzeptierte Äußerung kirchlichen Lebens“.
Was aber nun mit den Menschen, die den sogenannten Äußerungen des kirchlichen Lebens kritisch gegenüber stehen?

Lädt das Läuten der Glocken zu einem Gottesdienst ein, kann man vielleicht registrieren: da kommen gleich Menschen zusammen und feiern Gottesdienst, singen, beten – auch für mich, auch meine Hoff-nung, meine Nöte, mein Anliegen kommen in ihren Gebeten vor.
Unterbricht das Läuten der Glocken die Tageszeiten, morgens, mittags, abends, kann man vielleicht auch innehalten, kurz still werden, durchatmen und sich fragen: Wo stehe ich gerade? Was ist gerade wirklich wichtig? Wofür bin gerade dankbar?
Achtsamkeit nennt man das zeitgemäß, auf dem Moment achten, im Hier und Jetzt sein und so für einen kurzen Augenblick der Alltagshektik und dem Gedankenchaos entkommen.

Glockenläuten als Achtsamkeits-App – seit mehr als tausend Jahren haben das Menschen auch ohne Smartphone so gehandhabt.
Ich kann mir vorstellen, dass es Menschen, die mit sich selbst achtsam umgehen, leichter fällt, anderen achtsamer und damit geduldiger zu begegnen, zum Beispiel denen, denen das Glockengeläut, der Ruf zum Gebet, etwas bedeutet.
„Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in der Trübsal und haltet an am Gebet!“ (Römer 12,12)
Mir ist es wichtig, die Verbindung zu Gott in meinem Alltag nicht abreißen zu lassen. Das Geläut der Glocken erinnert mich immer wieder daran – ohne Verbindung zu Gott ist meine Hoffnung ohne Grund und meine Geduld schnell aufgebraucht.
Geduld und Humor haben vor kurzem die Menschen in der S-Bahn gezeigt, als bei einem jungen Mann die Glocken läuteten – als Handyton.

Karin Daniel

Karin Daniel

Pfarrerin im Entsendungsdienst im Ev. Kirchenkreis Minden