Für einen Christen stellt sich im Ukraine-Krieg die Frage: Was ist vertretbar? Pazifismus, Selbstverteidigung oder gewaltsamer Widerstand?

Schaut man ins Neue Testament, so scheint Jesus diese Frage gar nicht im Blick zu haben. Die Frage nach innerer und zwischenmenschlicher Vergebung war das Thema Jesu: Verachtete Zöllner, die verräterisch im Auftrage der Römer handelten, versöhnend wieder in die Gemeinschaft der Juden und Christen zu integrieren.

Dass der Konflikt zwischen Juden und Römern eines Tages wieder zu Krieg und Aufstand führen würde, war Jesus klar und er sagte die Zerstörung Jerusalems und des Tempels voraus. Das heißt: Zumindest im Frieden, auch im gespannten Frieden, kann man ruhigen Gewissens Pazifist sein. Jesus selber ist diesen Pazifismus bis zum Tod gegangen.

 

Die ersten vier Jahrhunderte nach Jesu Tod reagierten die Christen pazifistisch, mischten sich nicht in Politik ein, zeigten allerdings Charakter, wenn es um ihren Glauben ging. Wenn der römische Kaiser verlangte, sich – ihm als Gott – zu opfern, dann sagten manche Christen nein, was ihnen das Leben kostete.

Das änderte sich allerdings, als Christen in hohe Verantwortung kamen und plötzlich selber entscheiden mussten, was das größere Unrecht war, wenn alle Verhandlungen gescheitert waren, einen Staat oder ein Land zu verteidigen oder dem Angreifer nachzugeben.

Dass der Angriff eines Volkes auf ein anderes verboten war, war klar. Dass sich auch viele christliche Regierende nach diesen Maßstäben nicht gerichtet haben, ist ebenso klar und unbestritten.

Vielleicht kommt man der Frage nach, ob man Gewalt im äußersten Fall, wenn nichts anderes mehr geht, auch mit Gewalt beantworten kann, näher, wenn man in die jüngere deutsche Geschichte sieht. Während des Dritten Reiches hatte sich ein Kreis von einflussreichen Personen gefunden, die die Judenvernichtung und die Angriffskriege Hitlers nicht mehr mit ansehen und auch nicht mehr vertreten konnten. „Kreisauer Kreis“ nannten sie sich nach dem Ort, wo sie sich oft trafen Es waren Männer in politischer Verantwortung, die bereit waren, auch unter Verlust des eigenen Lebens ein Selbstmordattentat zu vollbringen. Wichtige Namen dieser Widerstandsgruppe waren der Jesuit Alfred Delp, Helmuth James Graf von Moltke, Carl Dietrich von Trotha und Claus Graf Schenk von Stauffenberg.

Am 20. Juli 1944 hatte der Offizier von Stauffenberg bei einem Treffen mit Hitler in der „Wolfsschanze“ eine Bombe in einer Aktentasche deponiert. Die Bombe ging hoch, Hitler blieb unverletzt, alle Mitglieder der Gruppe wurden getötet. Graf Schenk von Stauffenberg wurde in Berlin-Plötzensee an einem Fleischerhaken aufgehängt.

 

Ich glaube, dass es auch gerechte Gewalt geben kann, wenn ein ganzer Vernichtungskrieg beendet werden kann durch Menschen, die dafür ihr Leben riskieren.

 

 

Wolfang Ricke, Klinikpfarrer

Johannes Wesling Klinikum

Wolfang Ricke

Wolfang Ricke

Klinikpfarrer Johannes Wesling Klinikum