19.331 Kilometer, fast auf den Tag genau in vier Jahren, seitdem ich mein Fahrrad bei „J.“ gekauft habe – eine nette Leistung, kann ich voll zufrieden sein, bin ich ehrlich stolz drauf… Rheinradweg, Moorfahrten, die täglichen Kilometer im Job: mit meiner autofreien Existenz in Beruf und Freizeit hab‘ ich fette Pluspunkte geschaufelt in Sachen Klimaschutz, Gesundheit und persönlicher Fitness, ganz abgesehen von der Schonung meines Bankkontos. Noch einmal vier Jahre in diesem Stil – dann habe ich die 40.000 Kilometer Erdumfang erstrampelt. `zig Kilometer, `zig Stunden: sportlich gesehen, habe ich mein Lebenssoll mehr als erfüllt!

Wie sieht es aus in anderen Bereichen meines Lebens – kann ich da auch zufrieden sein mit mir selber? Wieviel Wegstrecken, wieviel Stunden meiner Lebenszeit, habe ich mit meinen Liebsten verbracht,  mit Freunden? Was habe ich für andere Menschen getan, an Gutem für Mitmenschen und Gemeinwohl? Und – für mich als Pastor die Nagelprobe – was habe ich in meinem Glauben geleistet, in meiner Beziehung mit Gott? Kann ich hier auch zufrieden sein mit Einsatz und Erfolg?

Aber worin kann ich den Glauben messen? Im Ritual, in der Zeit, in Geld? Hier ist es ja nicht so einfach wie beim Tacho meines Fahrrads. Ein „Pistometer“ (Glaubens-Barometer) würde ich mir sofort kaufen, leider ist noch keins erfunden. Händefalten und Beten zu Gott? Bibellesen? Nächstenliebe?  Mache ich im Alltag alles leider viel seltener als ich’s gern tun würde. Gottesdienstliches Beten und Bibellesen, ja klar; Spenden von Zeit und Geld, ja schon – aber mich zu Gott hin täglich so leidenschaftlich abstrampeln wie ich mich auf meinem Rad schwitzend in die Pedale hänge: keine Chance…!

Kein super-Ergebnis, auf das ich stolz sein könnte; aber auch kein besonders schlechtes, für das ich mich abgrundtief schämen müsste. Nicht Fisch, nicht Fleisch, weder Looser noch Weltmeister. Echtes Mittelmaß,  religiöser Durchschnittstyp. Gott wird über mich nicht überaus begeistert sein, aber auch nicht total frustriert. „Gott kannst du erfahren über den Kochtöpfen“ hat die Mystikerin Theresa von Avila über 400 Jahren gesagt, und meinte damit, dass wir Menschen Gott erfahren können an jedem Ort und in jeder Minute unseres Lebens, innerhalb und außerhalb von Kirchenmauern und religiösen Ritualen: auch in der Küche, im Büro, auf der Straße, bei der Arbeit, beim Relaxing. In der Freude, in der Trauer. Bewusst und unbewusst. Auf der Suche nach ihm, in der Flucht vor ihm.

Vor Gott sind wir nicht Profis, sondern Freizeitsportler: Meine Fahrradkilometer muss ich mir erstrampeln. Meinen Glauben nicht – den bekomme ich geschenkt. Gott sei Dank.

Andreas Brügmann

Andreas Brügmann

Pfarrer in der Offenen Kirche St. Simeonis Minden