Minden. 180 Kilometer Pilgerweg von Lüdenscheid bis Minden, Konzerte und Aufführungen an acht Stationen in ganz Westfalen und Hunderte Mitgestaltende: Das sind die Rahmendaten eines außergewöhnlichen Projekts. Im szenischen Oratorium „Maria – Eine wie keine“ machen Komponist Dmitri Grigoriev und Manuel Schilling, Superintendent des Kirchenkreises Soest-Arnsberg, die Geschichte der wohl bekanntesten Muttergestalt der Bibel spür- und hörbar. Über 50 Sängerinnen und Sänger waren an der Christuskirche in Todtenhausen zusammengekommen, um sich mit Kreiskantor Nils Fricke in das Oratorium einzuarbeiten, das im Juni in Minden aufgeführt wird. Manuel Schilling war eigens für die Probe angereist, um den Mitsingenden die Idee hinter dem Oratorium und das ehrgeizige Gesamtprojekt zu erklären.

Welche Kirche auf dem Weg ist ihm die liebste? Die Entscheidung fällt Manuel Schilling sichtlich schwer. „Die Marienkirche in Minden ist vielleicht die wichtigste in Westfalen“, sagt der Superintendent aus Soest-Arnsberg. „Aber die Wiesenkirche in Soest hat schon etwas ganz Besonderes.“ Sein Zögern spiegelt seine eigene Biographie wider: Sieben Jahre war er selbst in der Mindener Mariengemeinde Pfarrer, bevor es ihn in die Börde zog. In Minden hatte er bereits mit mehreren Oratorien und Musikprojekten viel Aufsehen erregt. Jetzt kehrt er mit seinem vielleicht größten Wurf an seine ehemalige Wirkungsstätte zurück.

Nach Monaten und Jahren der Vorbereitung geht es im Mai endlich los – zu Fuß. Von Lüdenscheid ziehen die Mitwandernden aus dem Sauerland über den Teutoburger Wald in Richtung Weser. Immer wieder führen sie das Oratorium auf, entweder in reduzierter Form oder als volles multimediales Ereignis. Am 30. Mai erreicht die Gruppe den Mühlenkreis aus Richtung Herford und wird vom Kirchenkreis Vlotho in Bad Oeynhausen empfangen. Tags darauf steht dann der Endspurt an: Die Technik und Instrumente bilden die Vorhut; die Pilgergruppe folgt ihnen durch die Porta in Richtung Simeons-Herberge. Am Samstag stehen noch die letzten Schritte, die Hufschmiede hoch, auf dem Plan, dann ist das Ziel erreicht: In der Marienkirche wartet die letzte Aufführung auf sie.

In Todtenhausen arbeitet sich der Chor der Kantorei währenddessen in die druckfrische Partitur ein. Die Sängerinnen und Sänger ringen, von Kreiskantor Nils Fricke angeleitet, mit der Aussprache und Intonierung der anspruchsvollen Texte auf Latein, Englisch, Französisch und Deutsch. Gregorianische Hymnik trifft da auf moderne Klänge. Dazwischen traditionelle Choräle – „Das hat etwas Weihnachtliches“, freut sich Manuel Schilling – und sogar Rap-Einlagen warten bei der Tour de Force durch die Epochen auf das Publikum. Der Komponist Dmitiri Grigoriev hat seine Mitwirkenden in Westfalen lange auf das fertige Oratorium warten lassen, doch es hat sich gelohnt: Schon die erste Probe in Todtenhausen zeigt, dass sein Werk keine Eintagsfliege bleiben wird, sondern das Potenzial zum Klassiker hat.

Ganz nah an die Personen der biblischen Geschichte geht Manuel Schilling mit seinem Entwurf. Maria ist hier nicht Himmelskönigin, sondern einfach Mutter. Und Josef, der alt geworden ist und seinen Sohn, wie es scheint, an einen anderen Vater, den Gott auch seiner Väter, verloren hat, darf traurig werden: „Wenn Du nur noch einmal Papa zu mir sagst.“ Es ist nicht nur die große Heilsgeschichte, sondern auch die Geschichte einer allzu-menschlichen Entfremdung, wenn Jesus seine Heimat Nazareth hinter sich lässt und seine Familie sich von ihm abwendet. Doch am Ende ist es die Muttergestalt, die alles wieder auflöst: Nach dem Kreuzestod ihres erstgeborenen Sohns ist sie wieder da, in Jerusalem, in der Gemeinde der ersten Christen, als Mutter einer neuen Familie.

In Todtenhausen bringt Kreiskantor Nils Fricke zusammen mit Manuel Schilling dem Chor der Kantorei das Oratorium nahe. Zur Aufführung in der Marienkirche wird er mit dem Team aus Soest ein musikalisches Großevent in die Kirche bringen: Eine szenische Aufführung, begleitende Videosequenzen auf zwei Leinwänden, Orchester und Band, Solisten und die geballte Kraft der Kantorei. Trotz dieser schieren Wucht und Masse der Musizierenden lässt der Kreiskantor keine Ungenauigkeiten zu. Auf den Punkt soll sein Chor singen, mit Präzision, aber auch mit viel Gefühl. Und er nimmt die Sängerinnen und Sänger in Todtenhausen mit: Da brummt der Bass in den gregorianischen Läufen, und Alt und Sopran treffen ihre Töne mit so viel Sicherheit, als hätten sie die Partitur schon verinnerlicht. Minden ist bereit für Maria.

(Beitrag von Kevin Potter / Evangelischer Kirchenkreis Vlotho)