Nijmegen, Bordeaux, Wien, Lublin, Saporischja, Berlin – aus diesen und tausend anderen großen und kleinen Orten Europas deportierten die Nationalsozialisten in den Jahren 1933 bis 1945 Menschen in das Konzentrationslager Dachau.

Anders als die im Rahmen der deutschen Eroberungen im Osten während des 2. Weltkriegs  errichteten Vernichtungslager zur Auslöschung des jüdischen Volkes ist das vor den Toren Münchens gelegene Lager Dachau bereits 1933 nach Machtantritt der Nationalsozialisten gegründet worden. In den zwölf Jahren seines Bestehens diente Dachau der Inhaftierung von politischen Gefangenen, Widerstandskämpfern und jedweder vom Regime als missliebig gewerteten Menschen. Von Anbeginn wurde hier auf skrupellose Weise deutlich, dass für alle, die sich der ideologischen Gleichschaltung widersetzten, vom System letztendlich die physische Ausschaltung vorgesehen war. Das Projekt „Gedächtnisbuch“ möchte den Blick weg von „den Nummern“ hin zu den „Namen“ lenken und damit auf die persönlichen Schicksale der Menschen, die hier unter unmenschlichen Bedingungen ausharren, leiden und sterben mussten.

Seit 1999 sind durch das Projekt „Gedächtnisbuch“ in Zusammenarbeit mit Geschichtsklassen, Studierenden, Überlebenden und deren Angehörigen über 150 Biographien in verschiedenen Sprachen erstellt worden; ständig kommen neue hinzu. Vielleicht ist das Projekt auch von Interesse für Mindener Schulen, die sich ja seit Jahren (in Kooperation mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit) in der Erinnerungsarbeit engagieren.

Weniger bekannt ist in der Öffentlichkeit bislang: Ab Ende 1940 wurde Dachau zentrales Lager für Geistliche verschiedenster Konfessionen, Kirchen und Religionen aus allen Teilen Europas, so dass man von einer „Ökumene des Leidens“ sprechen könnte. Die größte Gruppe bildeten katholische Geistliche aus Polen, wesentlich weniger gehörten der evangelischen sowie der griechisch-orthodoxen Kirche an. Nach der Pogromnacht 1938 wurden auch zahlreiche Rabbiner nach Dachau verschleppt, nach wenigen Wochen wieder freigelassen, um dann 1941/42 in die Vernichtungslager deportiert zu werden. Auch zwei muslimische Geistliche (Albaner) wurden nach Dachau verschleppt. Den größten Blutzoll entrichteten die katholisch-polnischen Geistlichen, die katholisch-deutschen und die evangelischen Geistlichen hatten tendenziell bessere Chancen zum Überleben (die Ausstellung der westfälischen Landeskirche über den im KZ Dachau 1945 gestorbenen Bochumer Pfarrer Ludwig Steil war vor Jahren in St. Simeonis gezeigt worden). Was genau das Regime mit der reichsweiten Konzentration im „Pfarrerblock“ bezweckte, ist nicht völlig klar – die Kirchen galten ideologisch als gefährliche Gegner, ihre systematische Ausschaltung wurde aber wegen ihres Rückhaltes in großen Bevölkerungsteilen für die Zeit nach dem sogenannten „Endsieg“ aufgeschoben. Möglicherweise gab es auch das Kalkül, dass die Kirchen aufgrund ihrer internationalen Verbindungen bei späteren Verhandlungen doch noch als nützlich gebraucht werden könnten.

Veranstalterin ist die Offene Kirche St. Simeonis in Kooperation mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Minden. Die Ausstellung in Minden verdankt sich der Förderung durch die Fachstelle NRWeltoffen im Schulamt des Kreises Minden-Lübbecke. Sie steht im Zusammenhang der regionalen Veranstaltungen zahlreicher Träger zum Themenjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Ausblick: Unter dem Titel „Lebensläufe“ steht eine weitere Ausstellung in St. Simeonis im Programm über Leben und Wirken von Shaul Ladany, der als Kind den Holocaust und als Erwachsener das palästinensische Attentat auf die israelische Mannschaft bei der Olympiade München 1972 überlebte (Sonderausstellung aus dem ehemaligen KZ Bergen-Belsen, Kooperation mit „Minden für Demokratie und Vielfalt“, 19.10.-11.11.2021).

Die Ausstellung in der Offenen Kirche St. Simeonis ist geöffnet bis zum 10. Juli dienstags bis samstags 11-17 Uhr.

Für den Besuch der Ausstellung gelten die aktuellen Corona-Schutzmaßnahmen (medizinische Maske, Handdesinfektion, Rückverfolgbarkeit, Abstand). Für Gruppen ist eine vorherige Anmeldung/Terminbuchung erforderlich (Tel. 0571 9341968 oder andreasbruegmann@gmx.de).

(Beitrag von Pfarrer Andreas Brügmann, Foto von Alfred  Loschen / Offene Kirche St. Simeonis

www.gedaechtnisbuch.org

www.gcjz-minden.de