„Wir stehen im Morgen / Tanzlied“ lautet der Titel eines modernen Osterliedes von Jörg Zink. Die beschwingte Melodie von Hans-Jürgen Hufeisen lädt mit ihrem Dreivierteltakt zum Walzertanzen ein. Aber darf man in Zeiten von Krieg in Europa, Inflation im eigenen Land und Klima-Katastrophe weltweit überhaupt fröhlich tanzen und heiter Ostern feiern? Ist das nicht ein Rückzug ins private Glück, so als wäre man mit sich und seiner Familie allein auf der Welt? So fragen manche. Und so ähnlich kommt auch die ev. Kirche in der öffentlichen Wahrnehmung manchmal rüber: moralisch und schwermütig. So wurde sie in der Corona-Zeit teilweise wahrgenommen: In ihrer verantwortungsvollen Sorge um den Gesundheitsschutz strahlte Kirche zuweilen mehr Angst als Hoffnung aus. Jetzt laufen zum 8. April in Deutschland die letzten Corona-Schutzmaßnahmen aus; und wer nimmt es wahr? Keiner kommt auf die Idee, deswegen ein frohes Fest zu feiern. Dabei können wir doch froh und dankbar sein, dass sich das Leben endlich durchgesetzt hat. Nur einen Tag später feiern wir jetzt das Osterfest 2023 – das Fest der Auferstehung und des Lebens. Im Lockdown habe ich es mir oft so sehr gewünscht: Wenn der Spuk endlich vorbei sein wird, feiern wir ein großes Fest und danken Gott, dass er unsre Gebete erhörte und die Pandemie endlich vorbei ist. Und nun? Nun lassen wir uns von den nächsten Krisen niederdrücken und verpassen die Feier der Lebensfreude. Dabei lautet die christliche Osterbotschaft doch: Angst und Leid, Trauer und Tod haben nicht das letzte Wort. Gottes Liebe zum Leben ist stärker. Darum sollte Kirche nicht an ihren Sorgen oder Ängsten erkannt werden, sondern an ihrer lebensfrohen Hoffnung gegen den Tod und seine Mächte in der Welt. Paulus hat das mal so ausgedrückt: „Wir wollen euch aber, liebe Geschwister, nicht im Ungewissen lassen über die, die entschlafen sind, damit ihr nicht traurig seid wie die anderen, die keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott auch die, die entschlafen sind, durch Jesus mit ihm einherführen.“ (1. Thessalonicher 4,13-14). Denn „Christus ist auferstanden von den Toten als Erster unter denen, die entschlafen sind.“ (1. Korinther 15,20). Christen*innen aller Konfessionen feiern zu Ostern die Auferstehung Jesu Christi und damit den Grund ihrer Hoffnung auf Leben, das stärker ist als Tod und Trauer. Solche Hoffnung sollte jetzt tatsächlich gefeiert werden – nicht obwohl sondern gerade, weil jetzt Krieg in Europa, Inflation in Deutschland und Klimawandel in der Welt sind! Das Osterfest zeichnet die Welt nicht für ein paar Tage in schöne Pastellfarben. Die Auferstehung Jesu Christi will gefeiert werden im Aufstand des Lebens gegen den Tod; dessen Mächte wüten noch immer – aber sie dürfen nicht das letzte Wort behalten. Mit dem brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine soll wieder das Recht des Stärkeren mit Gewalt durchgesetzt werden. Wer mit seinen konventionellen Waffen Tod und Verderben bringt und mit seinen atomaren Waffen Angst und Schrecken verbreitet und deshalb meint, sich nehmen zu dürfen, was er erobern kann, darf am Ende nicht Erfolg haben. Wer dem nachgibt, verleugnet das Leben und überlässt dem Tod alle Macht. Christen*innen feiern die Auferstehung Christi, indem sie aufstehen gegen den letzten Anspruch des Todes; ihm widersprechen sie mit der Hoffnung: am Ende steht das Leben in Frieden und Gerechtigkeit für alle Menschen. Der ev. Theologe Christoph Blumhardt hat es so ausgedrückt: „Christen sind Protestleute gegen den Tod!“ Oder wie es in dem erwähnten Osterlied heißt: „Wir folgen dem Christus, der mit uns zieht, stehn auf, wo der Tod und sein Werk geschieht, im Aufstand erklingt unser Osterlied.“ Und so erklingt es immer wieder auch in Minden und Umgebung: Menschen spenden insgesamt 1 Tonne Kerzen, damit Ausgebombte in der Ukraine beides bekommen: Licht und Hoffnung. Mitarbeiter*innen der kreiskirchlichen Flüchtlingshilfe engagieren sich über die Maßen für die zu uns Geflüchteten im Alltag. Ehrenamtliche lassen sich in ihrer Freizeit in 9 Monaten vom Kirchenkreis für die Seelsorge in Altenheimen und Krankenhäusern ausbilden; sie wollen aktiv gegen Vereinsamung angehen, die seit Corona sehr stark zugenommen hat. Die Diakonie Stiftung Salem springt als Trägerin ein, damit das Frauenhaus in Minden seit 1. April weitergeführt werden kann. Kirchengemeinden sammeln Spenden, um obdachlosen Frauen eine Unterkunft in Minden einrichten zu können. In allen ev. Gottesdiensten der Region wurde am 26.2. mit einem gleichlautenden Gebet des Kirchenkreises der Opfer der Erdbeben in der Türkei und Syrien vor Gott gedacht; dieses Gebet haben wir als Solidaritätsadresse der Mindener Moscheegemeinde zugeschickt. Der Kirchenkreis unterstützt seinen Partnerkirchenkreis in Tansania mit einer Soforthilfe; eine Dürre hat dort die diesjährigen Ernten vernichtet in Folge des Klimawandels. Und schon lange fördert die Partnerschaft ein Trinkwasserprojekt vor Ort. Manche mögen denken: solche Aktionen sind ja nur Tropfen auf den heißen Stein. Aber die Ostergeschichte beginnt ja damit, dass der Stein vom Grab wegbewegt wird, weil Christus von den Toten aufersteht und mit ihm die Hoffnung auf Leben gegen den Tod. Oder wie es in dem bereits zitierten Lied weiter heißt: „Wir stehen im Morgen. Aus Gott ein Schein durchblitzt alle Gräber. Es bricht ein Stein, erstanden ist Christus. Ein Tanz setzt ein.“ So können wir Ostern 2023 fröhlich feiern: Indem wir die Hoffnung teilen mit Menschen, die noch ohne Hoffnung sind. Dazu müssen wir einander nur wahrnehmen und wertschätzen. So wie am 25. März: da wurden alle mit Leitungsverantwortung in Gemeinden und Kirchenkreis eingeladen. Trauriger Anlass ist die mehrfache Krise der Kirche: Immer weniger Mitglieder, weniger Geld, weniger Pfarrpersonal – Kirche muss sich kleiner setzen, neu aufstellen, von Altvertrautem Abschied nehmen – lauter Gründe für Trauer, Angst und Depression. Die 200 Menschen aber, die zum Zukunftstag kamen, entwickelten neue Visionen von Kirche, die nicht an den Grenzen der je eigenen Gemeinde enden. Denn man nahm einander in den Blick und verabredete sich: Zukünftig wollen Gemeinden ihre Arbeit in Regionen koordinieren und ihr weniger werdendes Personal gemeinsam planen. So wurde eine Aufbruchstimmung geweckt, weil sich Menschen als Bereicherung wahrnehmen und ihre Hoffnung miteinander teilen. Das Motto des Zukunftstages „Wer aufbricht, der kann hoffen“ wurde im Abschlussgottesdienst erlebbar: 200 Menschen, die einander kaum kannten, bildeten beim Abendmahl einen großen Kreis in der Marienkirche. Die Kraft österlicher Hoffnung war im Raum. Ein Zeichen nur, aber voller Zuversicht. Die Feier wurde zu einem Ostergottesdienst – mitten in der Passionszeit. Da fehlte nur noch der Tanz des Osterliedes.
Liebe Leser*innen, ich wünsche Ihnen gesegnete Ostern 2023 – ein frohes Fest der Hoffnung auf Leben.
Michael Mertins
Superintendent, Kirchenkreis Minden