Passionszeit: Tauwetter für die Seele

Der Schnee war ein Geschenk. Für ein paar Tage durfte das durch den Lockdown eh schon sehr ruhige Leben noch ein wenig mehr runtergefahren werden. Haben Sie es nicht auch genossen, die schneeweiße Stadt oder die schneeweiße Natur zu betrachten? Aber, ganz ehrlich: die Sonne, die den Schnee hat schmelzen lassen, war mir auch willkommen.

Ostern liegt mittig zwischen der längsten Nacht und der kürzesten Nacht des Jahres. Nicht zufällig. Der Zeitpunkt des Osterfestes ist entstanden als Zeichen des Sieges, dem der Tag über die Nacht gelingt. Wie Jesus, der uns an Ostern ein Zeichen des Sieges gibt, den das Leben über den Tod erringt. Vor die Siegesfeier des Osterfestes hat die kirchliche Tradition eine Zeit der Vorbereitung gestellt, die Passionszeit. Wie der Schnee verschwindet, wenn die Sonne scheint – nicht von heute auf morgen, sondern als ein langsamer Prozess – so kann auch unsere Seele nicht auf einen Schlag die gefühlte Kälte der Angst vor dem Tod in ein Feuer der Begeisterung für das Leben verwandeln. Die Passionszeit ist das Dazwischen.

Der Landwirt weiß, dass es für die Natur von Nutzen ist, wenn der Schnee langsam schmilzt. Geht die Schmelze zu schnell, so fließt alles Wasser weg in die Bäche und Flüsse. Schmilzt der Schnee aber langsam, so dringt die Feuchtigkeit in die Erde, wo sie willkommen ist und dem Wachstum dient. Deshalb hat die kirchliche Tradition sechs Wochen einer inneren Schneeschmelze für uns erdacht. Passionszeit ist Fastenzeit: Eine Zeit des Verzichtes, vor allem aber eine Zeit der Selbstprüfung: Bin ich eigentlich bereit für die Größe Gottes, die in der Auferweckung Jesu von den Toten aufleuchtet wie die Sonne? Bin ich bereit, mich von dieser Sonne bescheinen zu lassen?

Ich wünsche uns allen, dass die Vorfreude auf Ostern in uns wächst und dass sie sich in eine Vorfreude auf den auferstanden Jesu Christus wandelt.

Michael Brandt

Michael Brandt

Pfarrer, Ev. Kirchengemeinde St. Jakobus in Minden