​In diesem Jahr ist mir in der Vorbereitung zum Advent ein Lied zum liebsten geworden, das wohl zu den unbekanntesten Adventsliedern gehört, jedenfalls in keinem Einkaufscenter und nur auf seltenen Radiokanälen zu finden ist.
„O Heiland, reiß die Himmel auf!“ – Warum? Es fallen Worte darin wie „Herab vom Himmel lauf!“, „O Heiland, aus der Erde spring!“, „In Finsternis wir alle sind“, „Wo bleibst du Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O komm, ach komm vom höchsten Saal!“, und „Hier leiden wir die größte Not!“
Alles prophetische Sehnsuchtsworte aus dem ersten Testament. Damals wie heute in einer in großen Teilen völlig perversen Welt…
Auch wenn wir sie selbst gerade nicht persönlich erleiden, aber diese Not nicht nur der Klima- und Wirtschaftskrise, sondern die Not der Kriege, des Hasses, des Terrors, der Folter, von Missbrauch und sexueller Belästigung, springt uns so gegenwärtig und präsent, widerwärtig und grausam an, dass wir sie selbst in unseren Gliedern und Seelen zu spüren beginnen.
Friedrich von Spee schrieb dieses Lied. Als er lebte, war es auch eine Zeit voller Gewalt und Terror, der Krieg, der 30 Jahre währen sollte, begann. Es war eine Zeit der Verrohung der Moral, der Gewalt, der Verelendung, Pest und Tod gingen um. Im Namen Gottes wurde gefoltert und getötet.
Unsere Gegenwart ist wie ein Remake der Zeit im 17. Jahrhundert. Friedrich von Spee dichtete das Lied und zehn Jahre später rief und flehte er nicht nur mehr, sondern schrieb zudem sein entschiedenes Plädoyer über das Unrecht der Hexenprozesse und -verbrennungen die „Cautio Criminalis“, gegen das System von Folter und Wahn, Hass und Mord an Unschuldigen im Namen Gottes.
Wir sehnen uns in diesem Advent nach Gott, dem Heiland, der den Himmel aufreißt und kommt und dem ganzen Irrsinn ein Ende bereitet – wie auch immer. Ich sehne mich auch. Aber meinen Mund halte ich sicher auch nicht mehr. Adventliche Grüße!

Volker Niggemann

Volker Niggemann

Pfarrer, Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde St. Marien, Bezirk St. Matthäus