Minden. Mit mehreren schwierigen Themen setzt sich zurzeit der Evangelische Kirchenkreis Minden auseinander. Auf der Synode, die am vergangenen Samstag im Mutterhaus der Diakonie Stiftung Salem stattfand, wurde das schon im traditionellen „Bericht des Superintendenten“ deutlich, der üblicherweise am Beginn jeder Synode steht.

Wie stellt sich evangelische Kirche neu auf, wenn immer mehr Menschen ihre Kirchenmitgliedschaft aufgeben und es immer schwieriger wird, frei gewordene Pfarrstellen neu zu besetzen? Was wird aus der Simeons Herberge, wenn der Verein „Weitere Wege“ die Trägerschaft aufgibt und „Herbergsvater“ Jonathan Löchelt die Herberge verlässt? Wie geht Kirche damit um, wenn kirchliche Mitarbeiter sexuell übergriffig werden?

Zum ersten Thema sind bereits im vergangenen Jahr Beschlüsse gefasst worden. Künftig wird Kirche im Mindener Land in vier Planungs- und Kooperationsräumen organisiert (Petershagen, Minden-West, Hille und Minden-Ost / Porta-Nord). Seit der letzten Sommersynode hat der Kirchenkreis weitere 2.149 Mitglieder – nicht nur durch Austritte, sondern insgesamt –  verloren; jetzt sind es noch 64.051. Aus der Neuorganisation ergeben sich Synergie-Effekte, weil nicht mehr jede Gemeinde das gesamte gewohnte Programm anbieten muss. Stattdessen bilden die Gemeinden Schwerpunkt-Angebote, die auch von Mitgliedern anderer Gemeinden genutzt werden.

In Arbeitsgruppen tauschten sich die Synodalen aus über den aktuellen Stand des Reformprozesses. Außerdem diskutierten sie, wie sich in den neuen Strukturen das Bild kirchlicher Berufe wandelt. Eine zentrale Rolle für den Reformprozess spielt zum Beispiel das Konzept, „Interprofessionelle Pastoral-Teams“ („IPT’s“) aus Pfarrer*innen und Gemeindepädagog*innen zu bilden. IPT’s tragen die Verantwortung für die Gemeindearbeit gemeinsam; d. h. konkret beispielsweise, dass neben Pfarrer*innen verstärkt auch Gemeindepädagog*innen Predigten halten und Amtshandlungen wie Taufen übernehmen.

Jonathan Löchelt und seine Familie ziehen sich zum 1. Juli aus der Simeons Herberge zurück. Ein engagiertes ehrenamtliches Team will den Betrieb aufrechterhalten, braucht dafür aber hauptamtliche Unterstützung. Ab April 2025 steht in unmittelbarer Nachbarschaft ein weiteres wertvolles Projekt auf der Kippe: Dann geht Pfarrer Andreas Brügmann in den Ruhestand und auch in der Offenen Kirche St. Simeonis mit ihren vielfältigen kulturellen und spirituellen Angeboten steht ein Team ehrenamtlicher Helfer*innen ohne hauptamtliche Unterstützung da. „Beide Einrichtungen halten Angebote bereit, die Bürgerinnen und Bürgern ans Herz gewachsen sind; außerdem stellen sie kirchliches Leben in einer nicht an Gemeinden und Pfarrbezirke gebundenen Struktur dar“, sagte Superintendent Michael Mertins, „und beide erreichen jeweils auch Zielgruppen, die sich mit herkömmlicher Gemeindearbeit nicht mehr oder nur noch bedingt identifizieren können.“ In gewisser Weise bildeten die Offene Kirche St. Simeonis und die Simeons Herberge daher bereits etwas ab, was zu den Grundideen der Planungs- und Kooperationsräume gehöre. Mertins Vorschlag, die beiden Projekte künftig mehr zusammenzudenken und sie darüber hinaus als gemeinsames Leuchtturm-Angebot des Raums Minden-West wahrzunehmen, folgten die Synodalen gern. Auf der Herbstsynode soll die Einrichtung einer Vollzeitstelle für einen Gemeindepädagogen oder eine Gemeindepädagogin für die Arbeit in der Simeons Herberge und der Offenen Kirche Simeonis auch offiziell beschlossen werden.

Eine große Herausforderung für die Verantwortlichen im Kirchenkreis ist es, dass in letzter Zeit mehrere Fälle von sexuellen Übergriffen in Gemeinden bekannt geworden sind. Zu Beginn des Jahres 2023 wurde offenkundig, dass ein langjähriger Mitarbeiter des CVJM Hille mehrfach Kinder und Jugendliche zu sich nach Hause eingeladen und sie mit einer im Badezimmer versteckten Webcam beim Toilettengang und unter der Dusche gefilmt haben soll. Im Januar 2024 veröffentlichte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die desaströsen Ergebnisse der ForuM-Studie („Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland“). Nahezu zeitgleich wurde bekannt, dass ein Pfarrer der Gemeinde Lahde in den 70er und 80er Jahren verschiedentlich sexuell übergriffig gegen Jungen im Teenager-Alter gewesen ist. Aktuell wird ein langjähriger ehrenamtlicher Mitarbeiter des CVLM Rothenuffeln-Haddenhausen beschuldigt, mehrere junge Frauen, die sich ebenso wie er freiwillig in der kirchlichen Jugendarbeit engagieren, sexuell bedrängt zu haben.

Der alte Fall in Lahde zeige, dass die ForuM-Studie in zwei wesentlichen Punkten zu der Frage, was sexualisierte Gewalt in Kirche und Diakonie möglich mache, absolut richtig liege, erklärte Mertins. Erstens: Kirchliche Strukturen sind der ideale Nährboden für „Verantwortungs-Diffusion“, d. h., indem höhere Ebenen informiert werden, entledigen sich niedrigere Ebenen der Verantwortung, bis die Verantwortung irgendwo auf hoher Ebene verpufft. Zweitens: Kirche neigt dazu, von Betroffenen Vergebung zu verlangen, um das Image von Kirche zu schützen – selbst dann, wenn Beschuldigte keine ehrliche Reue zeigen. Damit müsse nun endlich Schluss sein, betonte der Superintendent, und plädierte entschieden für Transparenz und Offenheit im Umgang mit diesen Themen, auch dann, wenn das natürlich wehtue. „Im Kirchenkreis Minden stellen wir uns eindeutig auf die Seite der Betroffenen“, sagte er, „und ich bin froh und dankbar dafür, dass wir dabei fachkundige Unterstützung auch von außen haben zum Beispiel durch die Opferschutzbeauftragte der Polizei und Wildwasser e. V.“ Innerkirchlich gibt es Präventionskräfte sowohl bei der Landeskirche als auch im Kirchenkreisverband Herford, Minden, Lübbecke und Vlotho. Deren Aufgabe ist es u. a., die Gemeinden bei der Erstellung von Schutzkonzepten zu unterstützen.

Ein wichtiger Punkt auf der Tagesordnung der Synode waren außerdem die Wahlen für diverse kirchliche Ämter. Pfarrer Christoph Ruffer (St. Martini) wurde zum Synodalassessor beziehungsweise stellvertretenden Superintendenten gewählt. Damit tritt er die Nachfolge von Pfarrer Bernhard Speller an, der im Oktober in den Ruhestand geht. Außerdem beschlossen die Synodalen, wer den Kirchenkreis künftig auf der Landessynode vertritt, besetzten elf Ausschüsse und vergaben 37 Synodalaufträge.