Liebe Leserinnen und Leser,
neulich war ich an der Weser unterwegs. Vor mir lief ein kleines Mädchen mit roten Gummistiefeln. Sie blieb immer wieder stehen, um Blätter aufzuheben – rote, gelbe, braune. Dann pustete sie sie in die Luft, lachte und rief: „Guck mal, die tanzen!“ – und tatsächlich: die Blätter wirbelten herum, als hätten sie nur darauf gewartet.
In diesem Moment habe ich mich gefragt: Kann ich mich noch so freuen und so staunen wie ein Kind? Über ein Blatt, eine Pfütze, eine Birne in der Hand?
Erntedank lädt uns dazu ein, genau das wiederzuentdecken: Staunen über das Kleine. Freude an den einfachen, aber wichtigen Dingen, die nicht selbstverständlich sind.
Der Schriftsteller Theodor Fontane hat einst ein schönes Bild dafür gefunden. Vermutlich erinnern Sie sich an den Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, der den Kindern, wenn sie vorbeikamen, seine Birnen schenkte.
„Und kam die goldene Herbsteszeit,
und die Birnen leuchteten weit und breit,
da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl,
der von Ribbeck sich beide Taschen voll.“
Der Apostel Paulus schreibt: „Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind.“ 1 Kor 13,11a
Wir wissen: Erwachsenwerden heißt Verantwortung tragen, Entscheidungen treffen, auch Sorgen und Lasten zu kennen. Aber die Bibel erinnert uns daran, dass in unserem Kindsein etwas Wertvolles liegt – das Staunen, die Leichtigkeit, die Freude an den kleinen Dingen. Vielleicht ist das Geheimnis kindlicher Freude: nicht das Haben, sondern das Staunen über sie.
Wenn im Gedicht der Birnbaum auf Ribbecks Grab im Herbst wieder lacht und die Kinder fröhlich macht, dann erinnert mich das an das „kindliche Ich“, das nicht verloren, sondern tief in uns verwurzelt ist. Öffnen wir uns für das Staunen, für die Dankbarkeit, für die Freude, die Gott in unser Leben legt, in die kleinen Dingen, die wir so oft übersehen.
Das kleine Mädchen mit den roten Gummistiefeln war ganz in dem Moment versunken. Irgendwann sprang sie mit beiden Füßen mitten in eine große Pfütze, dass das Wasser nur so platschte. Sie lachte, als hätte sie das größte Geschenk bekommen. Und ich dachte still bei mir: Vielleicht ist genau das die Einladung von Erntedank – mit offenen Augen und offenem Herzen durch die Welt zu gehen, die kleinen Wunder zu feiern und dankbar zu teilen, was wir haben. Amen.

Naela von Storch
Pfarrerin, Evangelische Kirchengemeinde Barkhausen