Kennen sie das?
Mitten im Lockdown, aus Mangel an anderen Aufgaben fange ich an aufzuräumen. Ich nehme Dinge in die Hand und frage mich: Wird das noch gebraucht oder kann das weg? Ich tu mich schwer. Immerhin bin ich so erzogen worden und habe die Worte meiner Mutter im Ohr, dass man Dinge, die nicht kaputt sind, noch irgendwann gebrauchen könnte. Also wird der Haufen „Das könnte man ja nochmal brauchen“ immer größer. Es ist ein Kampf.
Aufräumen, entrümpeln ist so etwas wie die Suche nach innerer Ordnung und Klarheit, wo die Welt da draußen doch so unendlich verworren und kompliziert geworden ist. Aufräumen scheint ein Trend geworden zu sein, man kann sich neuerdings auch professionell coachen lassen. Es fällt wohl auch anderen schwer, sich von Dingen zu trennen, die gewohnt und liebgewonnen zu einem Teil des Lebens geworden sind.
In der Passionszeit, in der wir zum Fasten angeregt sind, um uns besser darauf zu besinnen, welche Bedeutung das Leiden und Sterben Jesu für unser Leben hat, können solche Alltagsfragen als Bild für große Lebensfragen dienen. Jesus hat im Johannesevangelium ein alltägliches Bild gebraucht, um den Menschen in seiner Umgebung sein bevorstehendes Leiden und seinen Tod am Kreuz zu erklären: „Das Weizenkorn muss in die Erde fallen und sterben, sonst bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. Wem sein Leben über alles geht, der verliert es. Aber wer sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben“. Ich merke, da redet Jesus nicht nur von sich selbst, sondern das hat etwas zu tun mit mir und meinem Leben, mit unser aller Leben. Das ist ein Bild, das ich verstehen kann, ganz besonders im Frühling. Ein Saatkorn, das ich im Tütchen lasse und vergesse, wird keine reiche Ernte bringen, sondern verliert seine Kraft. Es muss in die Erde, es muss sich verwandeln, als Pflanze wachsen und gedeihen und ich muss geduldig sein und es pflegen. Wenn mein Leben Früchte tragen soll, darf ich die Dinge, Verhaltensweisen und Gewohnheiten, von denen ich glaube, dass sie mein Leben absichern, nicht ängstlich hüten und festhalten, sondern muss sie überdenken, loslassen und – wenn nötig – aufgeben. Seit Ostern wissen wir Christen, dass der Tod nicht endgültige Macht über unser Leben hat, sondern, dass das Leben und die Liebe das letzte Wort haben.
Mir wird immer klarer: Je größer meine Bereitschaft loszulassen, eventuell Pläne und Projekten aufgeben, die nicht realisierbar sind und mich eben manchmal auch von Dingen und sogar von Menschen zu verabschieden, desto mehr wird mein Leben auf Hoffnung und Zukunft ausgerichtet sein. Meine Sehnsucht nach der alten Ordnung, nach der alten Freiheit in diesen Tagen wandelt sich in Hoffnung, dass auch altbekannte Strukturen in großen Systemen wie der Kirche, dem Staat und der Gesellschaft sterben müssen, damit neue zukunftsfähige Lebendigkeit einzieht.
Maike Brodowski-Stetter
Pfarrerin am Leo-Sympher-Berufskolleg