„Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet.“ Dieser Satz traf für mich schon immer den Kern von Jesu Botschaft. Schau erst bei dir selbst, wieviel du gemeinsam hast mit dem Menschen, über den du richtest. Ein herzloses Urteil kannst du dann nicht fällen. Das klingt weltfremd in Zeiten von Social Media und Populismus, in denen schnell über oft unsichtbare andere Menschen Urteile gefällt und verbreitet werden.

Im Klinikum dagegen finden sich wildfremde Menschen auf einmal zum Schlafen im gleichen Zimmer wieder und sind erstaunt, wie gut das oft geht.
Was, wenn der Bauer, der vor Wochen noch mit Galgen am Trecker fuhr, mit einem Grünen auf ein Zimmer käme und merkte, dass der eigentlich konservativ ist, weil er Lebensgrundlagen bewahren will?
Was, wenn der Grüne merkte, dass der Bauer die Natur und seine Tiere liebt und über lauter Bürokratie im Burnout gelandet ist?
Was, wenn einem AfD-Wähler von einem unserer muslimischen Ärzte, die im Klinikum Hirntumore operieren, das Leben gerettet wird und er sich nach dem Aufwachen über die gemeinsame Angst vor dem Verlust der Heimat mit einem ukrainischen Bettnachbarn unterhält?

Das schnelle Richten unserer Zeit führt zu Fehlurteilen. Diese führen dazu, dass Menschen nicht Recht geschieht. Und wer Extremisten und Fanatikern folgt, der gefährdet das Recht auf Leben. Diese zetteln Kriege an, wie der Neostalinist Putin oder die Hamas, und verurteilen damit Unschuldige zum Tod, inklusive der eigenen Zivilisten, denen besonders in Gaza massiv Unrecht geschieht.

Der Name dieses Passionssonntags Judika übersetzt den Ruf des Psalmbeters an Gott „Schaffe mir Recht…“. Christen schauen nun auf den durch menschliches Fehlurteil zum Kreuzestod Gerichteten. Er schafft Recht, weil er unser Richten auf sich zieht und uns davon befreien will. Wenn dann Menschen in seine Nachfolge gehen, werden sie wie Jesus auf das schnelle Richten des Nächsten verzichten und ihnen dadurch Recht geschehen lassen. Würde das wieder beherzigt werden, könnten sich Spaltung, Hitze und Hass unter uns abkühlen, und der Rechtsstaat des christlichen Abendlands wäre nicht gefährdet. Im Kleinen, auf Krankenzimmern, gibt es dafür immer wieder einen Anfang.

Oliver Vogelsmeier

Oliver Vogelsmeier

Pfarrer und Krankenhausseelsorger