Das Kirchenjahr ist mehr als nur eine kirchliche Tradition. Für mich ist es wie ein roter Faden, der sich durch das Jahr zieht – von der stillen Erwartung im Advent über das warme Licht von Weihnachten, das Leiden in der Passionszeit bis hin zur österlichen Freude und dem Feuer von Pfingsten. Es gibt meinem Glauben einen Rhythmus und verbindet das, was ich glaube, mit dem, was ich lebe. Das ist die Theorie.
Jetzt – nach dem Pfingstfest und bevor dann endlich wieder Spekulatius in den Regalen der Geschäfte liegen – befinden wir uns in einer längeren Phase ohne große Feste. Stattdessen haben wir Zeit – Zeit, um Bekanntes und Gehörtes zu verinnerlichen und im Alltag umzusetzen. Gerade in dieser Zeit zeigt sich, wie tragfähig unser Glaube wirklich ist. Sie lädt uns ein, nicht nur Zuschauer großer Feste zu sein, sondern auch Glaubende im Alltag. Wie Maria von Bethanien, die sich einfach zu Jesu Füßen setzte (Lukas 10), oder wie Rut, die im Alltagstreiben des Lebens treu und offen blieb (Rut 1).
Diese Geschichten erinnern uns: Auch in scheinbar gewöhnlichen Tagen kann Gottes Nähe erfahrbar sein. Der Heilige Geist, den wir an Pfingsten feierten, begleitet uns nicht nur in bewegenden Momenten, sondern auch im Gewöhnlichen – beim Arbeiten, im Urlaub und bei Entscheidungen. Zwischen Pfingsten und Advent liegt eine große Chance: die Einladung, den Glauben nicht nur zu feiern, sondern einfach zu leben. Nicht spektakulär, sondern still. Nicht in großen Worten, sondern in aufmerksamen Taten. Das ist dann die Praxis. Vielleicht ist diese Zeit sogar besonders wertvoll – weil sie uns einlädt, unsere persönliche Beziehung zu Gott zu intensivieren: in der Liebe zu anderen, in der Geduld mit uns selbst.
Wie erlebe ich meinen Glauben im Alltag? Gibt es Momente, in denen ich überraschend Gottes Nähe gespürt habe? Und was könnte mir helfen, gerade in den „stilleren Zeiten“ des Jahres geistlich wach zu bleiben?

Priester Oliver Rütten
Bezirksvorsteher Neuapostolische Kirche Minden