Die wirkliche Temperatur ist das eine, die gefühlte das andere. Im warmen Juni sagte mir mal eine Nachbarin, wir hätten mit Sicherheit 36 Grad. Ich war neugierig und hab’s kurz überprüft: es waren „nur“ 29 Grad. Aber klar: Habe ich eine fiese Erkältung, klappern mir schon bei 20 Grad die Zähne. Bekommen Menschen Hitzewallungen, reißen sie manchmal schon bei 10 Grad die Fenster auf.
Im Glauben ist es ähnlich: Es gibt eine „gefühlte Glaubenstemperatur“. Dem einen gibt der Glaube an Gott Stabilität und Kraft, der Glaube fühlt sich wohlig und warm an. Der anderen dreht sich beim Thema „Glaube“ der Magen um, weil das Leben sie schon zu oft geschüttelt und gerührt hat, als dass sie einfach so weiterglauben könnte. Die gefühlte Glaubenstemperatur ist völlig unterkühlt.
In einer Zeile aus dem alten Kirchenlied „So nimm denn meine Hände“ haben Menschen schon häufig Trost gefunden: „Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht – du bringst mich doch zum Ziele, auch durch die Nacht.“ Vielleicht ist das Lied auch deshalb so berühmt geworden, weil es Menschen aus dem Herzen spricht, die beides durchleben: Glauben und Zweifeln. Gewissheit und Verzagtheit. Wohltemperierte und unterkühlte Glaubensphasen.
Echter Glaube hängt aber weder vom Wetter ab, noch von unserer gefühlten Glaubenstemperatur.
Unser Glaube soll sich auf feste Zusagen gründen. Denn Gott geht mit uns durch die bitterkalte Nacht ebenso wie durch die heiße Mittagssonne.
„Sind wir untreu, so bleibt er doch treu; denn er kann sich selbst nicht verleugnen“, schreibt Paulus im Neuen Testament (2. Timotheus 2,13).
Darauf will ich mich verlassen. Und darauf kann ich mich verlassen. Besonders dann, „wenn ich auch gleich nichts fühle …“

Thomas Berneburg

Thomas Berneburg

Pfarrer der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Lerbeck, Pfarrbezirk II (Meißen und Neesen)