Sie ist nicht auf ihrem Zimmer. Merkwürdig, denke ich. Es ist doch ihr Geburtstag.

Habe ich vielleicht die Zimmernummer verwechselt? Nein. Zimmer 115, Luise Krause.

Das Pflegeheim-Team hat sogar einen kleinen Blumenkranz aus Papier an die Tür geheftet.

Plötzlich öffnen sich die Fahrstuhltüren auf dem Gang und sie wird im Rollstuhl herausgeschoben.

„Frau Krause“, rufe ich, „herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“. Die alte Frau lächelt mich an.

Ich weiß, dass mein Zeitfenster beschränkt ist. Gleich beginnt das Mittagessen.

Dann wird die Pflegerin wiederkommen und sie abholen.

Zeit mit einem demenzkranken Menschen zu verbringen, ist nicht leicht.

Nach fünf Minuten scheint man gewöhnlich alles gesagt zu haben. Dann folgen nur noch Wiederholungen. Das, was eben noch Neues erzählt worden ist – vergessen.

 

Doch plötzlich steht eine neue Frage im Raum: „Woher kommen Sie eigentlich?“ Überrascht beginne ich zu erzählen von unserem Dorf an der Weser und ihrem Haus, das dort steht.

Ich berichte ihr, wie gut ihre Rosen wachsen, die sie immer mit viel Liebe gepflegt hat.

Ich erzähle von unseren Gottesdiensten und dem Platz in der Kirche, der stets ihr gehört hat: ihr Stammplatz. Wie sie bei allen Ereignissen in der Gemeinde immer dabei gewesen ist; tatkräftig und hilfsbereit.

Währenddessen sagt sie kein Wort. Sie hört mir nur aufmerksam zu.    

Dann sagt sie: „Was sie alles von mir wissen! Wie schön!“

 

Ich muss schlucken. Demenz ist eine furchtbare Krankheit.

Doch zu wissen, dass ich gehalten werde von jemandem, der sich weiterhin auskennt, der Bescheid weiß über mich und mein Leben und alle meine Eigenarten kennt, selbst, wenn ich sie vergessen habe, ist für mich tröstlich.

Selbst wenn ich den Überblick verloren habe und mich nicht mehr zurechtfinden kann – in mir drin und um mich herum – gibt es diesen einen, Gott, der genau weiß, wer ich bin.

Am Ende zu ihm sagen zu können: „Was du alles von mir weißt! Du hast ja tatsächlich nichts vergessen.“ Das lässt meine Angst vor Demenz kleiner werden.

Esther Witte

Esther Witte

Pfr.in , (Schlüsselburg, Heimsen, Windheim/Neuenknick)