
Wort zum Sonntag
Das „Wort zum Sonntag“ von Pfarrerinnen und Pfarrern aus dem Mindener Land gibt es in der Samstagsausgabe des Mindener Tagesblatts – und darüber hinaus auch hier.
Kein richtiges Leben im Falschen!
Als Marija Aljochina vor 10 Jahren in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale mit ihren Freundinnen der Punk-Gruppe „Pussy Riot“ ein Punk-Gebet aufführte und damit russische Kirche und Regierung provozierte, konnte sie sich mit ihrem Protest gegen die Willkür der Mächtigen und gegen deren grenzenlose Gier auf ein Lied berufen, das 2000 Jahre älter war und das von ihrer Namensschwester Maria aus Nazareth, der Mutter von Jesus, gesungen wurde: „Er stößt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“ (Lukas 1, 52-53)
Marija aus Moskau und Maria aus Nazareth singen in unterschiedlicher Art von dem einem Gott, der Unrecht nicht duldet, sondern dem Recht Geltung verschafft. Für beide Frauen gilt: Abfinden mit Ungerechtigkeit und Fremdbestimmung kann nicht zum Normalfall werden. Ein richtiges Leben im Falschen kann es nicht geben. Darum haben die Frauen von „Pussy Riot“ in Russland gegen die falschen Verhältnisse protestiert. Sechsmal in einem Jahr sind sie verhaftet worden – und haben weiter protestiert.
„Wir wollen, dass kein russisches Gas und Öl mehr gekauft werden“, antwortet Marija Aljochina auf die Frage nach dem Sinn ihres Protestes. Denn: „Das Geld für den Krieg, für Vergiftungen und politische Ermordungen kommt aus Europa durch den Öl- und Gasverkauf. Solange dieser anhält, wird der Krieg fortgesetzt.“ (ARD-Tagesthemen, 23.5.2022)
Gut, dass die Gaslieferungen aus Russland gestoppt sind. Die Kosten dieser Entscheidung werden aber nicht lange auf sich warten lassen. Das Heizen wird teuer in diesem Winter. Einige Mindener Haushalte werden ihre Heizrechnungen nicht bezahlen können. Die Marienkirche wird mit Ausnahme der Weihnachtsgottesdienste mit einer Grundtemperatur von 8°C geheizt bleiben. Das ist nicht gemütlich. Doch was sind diese Probleme gegen das Leid, das in der Ukraine getragen werden muss? Während wir uns fragen: Wie heizen wir unsere vier Wände? Fragen sich viele obdachlos gewordenen Menschen in der Ukraine: Welche vier Wände? Während wir schockiert unsere Heizungsrechnung beiseitelegen, müssen viele Menschen in der Ukraine vor Weihnachten noch nahe Angehörige begraben.
Nicht im Falschen zu leben, hat seinen Preis. Denen, die diesen Preis nicht zahlen können, muss geholfen werden. Ein Lastenausgleich kann helfen. Denn der Protest gegen das Falsche ist immer auch Gemeinschaftssache. Marija Aljochina gibt zu bedenken: „Jeder von Euch hat eine Stimme und kann diese Stimme gegen das Unrecht erheben. Und je mehr sich zu Wort melden, umso deutlicher wird der Protest.“ Ob Maria aus Nazareth dem nicht zugestimmt hätte?

Frieder Küppers
Pfarrer, Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde St.-Marien
Die Opfergabe der Witwe, Lk 21, 1 – 4 oder: Was gibt uns das?
Jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Heute heißen sie: Klimawandel, Corona, Krieg in der Ukraine, Preissteigerungen, Gasknappheit und die Liste ließe sich noch um einige weniger schlagzeilenträchtigere Krisen verlängern.
Zur Zeit Jesu gehörten Witwen zu den Verlierern in der Gesellschaft. Als verheiratete Frauen waren sie zwar versorgt aber zugleich völlig abhängig von ihren Ehemännern. Starb der Mann und konnten diese Frauen aufgrund ihres Alters keine Kinder mehr gebären, waren die Frauen der Altersarmut ausgeliefert. Soziale Absicherung? – Fehlanzeige. Dazu Seuchen, Besatzung durch die Römer, Kriege, Hunger, …
Eines Tages beobachtet Jesus mit seinen Anhängerinnen und Anhängern eine solche Witwe, die im Jerusalemer Tempel einige Münzen in den Spendenkasten einlegt. Ihm ist die soziale Lage der Frau vollends bewusst und so sagt er zu seinen Anhängerinnen und Anhängern: „Diese arme Witwe hat mehr gegeben als alle anderen. Denn alle anderen haben nur etwas von ihrem Überfluss als Spende gegeben. Aber diese Witwe hat alles gegeben, was sie zum Leben hat.“ Hier endet die Begebenheit mit dieser Frau. Jesus greift nicht ein, wie er es sonst tut, um Notleidenden zu helfen. Das finde ich nicht gut. Stattdessen kommentiert er die Szene und darin liegt eine leise, aber dennoch klare Kritik der Verhältnisse. Viele geben von ihrem Überfluss; sie, die verwitwete Frau, gibt alles. Ihr bleibt nichts.
Und heute? – Was bleibt Menschen in unserer Gesellschaft angesichts der andauernden Krise aus vielen Krisen? Die, die genug haben, bekommen noch mehr; und viele werden bald alles geben, um zu überleben. Das hat sich wohl nicht geändert. Und die Kritik bleibt leise und zeigt damals wie heute wenig Wirkung. Vielleicht aber ist es gut, dass diese Kritik so leise ist. Sie verzichtet auf die Gewalt und die Sprache der Revolution. Sie benennt aber zugleich das Unrecht, das zu allen Zeiten zwischen den Vermögenden und den Bedürftigen besteht. Sie öffnet Handlungsspielräume etwas zu verändern; und dass Jesus damals nicht eingreift und Gott heute schweigt, verlangt von Menschen endlich etwas zu tun, nachhaltig, heilsam, gemeinschaftsstiftend und versöhnend, dann könnte Leben gerettet und Friede werden; im Land und der Welt.

Christoph Kretschmer
Schulpfarrer am Freiherr-vom-Stein-Berufskolleg
Kleines Büchlein, große Wirkung
Niemand geht verloren
Ab und zu nehme ich es zur Hand und blättere drin herum. Jenes kleine, leicht abgegriffene Notizbüchlein mit dem immer noch erstaunlich gut erhaltenen Lederumschlag und dem Buchstabenregister von A bis Z. Kein Tagebuch im eigentlichen Sinne, auch wenn die ein oder andere Begebenheit kurz skizziert wurde. Und eben auf diese Weise verbunden mit Erinnerungen an so manche Gespräche mit denjenigen, deren Namen dort eingetragen sind. Neben den Telefonnummern auch die Adressen. Auffällig: Sehr viele Festnetznummern und noch vierstellige Postleitzahlen. Im Laufe der Jahre dann hinzugefügte Handynummern, fünfstellige Zahlen vor den Orten und kleine eingelegte Notizzettel. Auf diese haben sich auch E-Mail- Adressen hinzugesellt, die mehr Zeilenraum beanspruchen als die im Vergleich eher bescheiden schmal wirkenden Festnetznummern. Dieses eher unscheinbare Büchlein begleitet mich inzwischen bereits seit mehreren Jahrzehnten. Es ist somit auch ein Stück weit eigene Zeit- und Lebensgeschichte. Auf diese Weise kann ich verreisen. Nicht nur gedanklich an einen anderen Ort, sondern auch in eine andere Zeit und in die eigene Vergangenheit. Es lohnt sich, manchmal innezuhalten und sich an Situationen aus dem eigenen Leben zu erinnern. Da gab es die schweren und schicksalhaften Stunden, wo alles auf dem Spiel zu stehen schien. Es gab die langweiligen Zeiten, in denen offenbar gar nichts passierte. Und es gab die federleichten, fröhlichen Stunden, wo alles spielerisch zu gelingen schien. Dabei mögen wir sicherlich auch an die Menschen denken, denen wir begegnet sind, die wir getroffen haben und die bereit waren oder es immer noch sind, mit uns zugehen. Freude und Leid mit uns zu teilen. Menschen, deren Namen wir z.B. in einem kleinen, eher unscheinbaren Notizbüchlein aufgeschrieben haben. Nur ein kleines Büchlein, eine Telefonnummer, eine Adresse, ein Name! Und doch eine doch so große Wirkung! Ach ja, auch die Namen derjenigen, die nicht mehr da sind, habe ich nicht etwa durchgestrichen, sondern stehen lassen. Mir kommt ein Ausruf Jesu aus dem Lukasevangelium in den Sinn: „Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“ Ein tröstlicher Gedanke! Kein Mensch geht verloren! Im Übrigen können und dürfen wir auch Gott jederzeit anrufen. Der Beter in Psalm 50 hat es so formuliert: „Rufe mich an in der Not!“ Nun, es muss ja nicht immer in der Not sein.

Ekkehard Karottki
Pfarrer, Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Kleinenbremen