Wort zum Sonntag

Das „Wort zum Sonntag“ von Pfarrerinnen und Pfarrern aus dem Mindener Land gibt es in der Samstagsausgabe des Mindener Tagesblatts – und darüber hinaus auch hier.

Augen zu …

Im wahrsten Sinne des Wortes zwingt mich dieser Tage oft ein Ohnmachtsgefühl in die Knie. In solchen Momenten schließe ich die Augen und lasse meinen Gedanken Raum:

„Wie wird er sein, unser Alltag in drei oder vier Monaten? Werden wir verzichten müssen? Wann werden wir die Krise überwunden haben? Wie wird es danach sein?

Solche und andere Fragen schwirren mir durch den Kopf. Die Schrecken des Krieges toben ohne Halt weiter. Die Nachrichtensendungen überschlagen sich mit negativen Prognosen.

Ich habe ein Déjà-vu. Irgendwie kenne ich diese Anspannung und diese Fragen alle schon.

Seit nun mehr als zwei Jahren befinden wir uns im Ausnahmezustand. Und nun werden wir als Gesellschaft wieder herausgefordert unsere eigenen Bedürfnisse einzuschränken und solidarisch zu sein.

Um ehrlich zu sein, diesmal fühlen sich die Opfer, die ich bringen soll, bedrohlicher an.

Keine Frage, die Isolation im Lockdown war hart und eine wirklich einschneidende Lebenserfahrung. Aber an die Masken habe ich mich schnell gewöhnt, Impfungen waren für mich nie ein Problem.

Nun aber, stehe ich vor der Herausforderung, zuhause den Gashahn abzudrehen und Geld zur Seite zu legen, um im kommenden Jahr meine Nebenkosten begleichen zu können.

Verstehen Sie mich nicht falsch, nichts was ich tun muss und soll ist vergleichbar mit dem, was Menschen in der Ukraine erfahren und geben müssen. Das weiß ich und dieser Vergleich weckt immer wieder tiefe Demut in mir.

Dennoch merke ich, dass auch mir die vergangenen Jahre ganzschön zugesetzt haben und dass es mir schwerfällt, jetzt wieder und weiterhin Solidarität und Kampfgeist zu beweisen.

Und mit diesem Gefühl trete ich aktuell oft im Gebet vor Gott. Dort ziehe ich ihn zur Verantwortung, klage ihm mein Leid, werde meine Sorgen los und bitte um Kraft.

Und wenn ich dann, nach diesen Gebeten, die Augen wieder öffne, dann fühle ich mich von guten Mächten wunderbar geborgen und kann getrost auf das warten, was kommen mag.

Alexander Möller

Alexander Möller

Vikar, St.-Martini-Kirchengemeinde Minden

Neue Energie

„Gleich geht es los. Haltet euch fest!“ Ich erinnere mich noch genau an die Worte des Segellehrers. Bei gut 30 Grad dümpelten wir in einer Flaute auf dem Balaton (Plattensee) in Ungarn. Seit einer gefühlten Ewigkeit war nichts passiert und ich hatte keine Ahnung, wann die Flaute vorbei sein würde. Warum soll ich mich jetzt festhalten? Was sah der Segellehrer, das ich nicht sah? Brav habe ich mich festgehalten und wie er es gesagt hatte, griff eine Böe ins Segel, das Boot ruckte, nahm Fahrt auf und der Segelspaß ging weiter.

Lange habe ich mich gefragt, was der Segellehrer da gesehen hatte. Und tatsächlich: Wenn man ganz genau hinsah, dann bemerkte man, dass das Wasser unterschiedliche Farbtöne hatte, sich die kleinen Wellen an einigen Stellen etwas stärker kräuselten und mit etwas Übung konnte man den Wind „sehen“.

Jesus Christus benutzt im Johannesevangelium im dritten Kapitel den Wind als ein Bild dafür, wie Gott in dieser Welt wirkt: „Der Wind weht, wo er will. Du hörst zwar sein Rauschen, aber woher er kommt und wohin er geht, weißt du nicht.“

Wir sehen nur die Wirkungen des Windes. Wir sehen, wie er die Blätter bewegt oder die Segel füllt. Jesus benutzt dieses Beispiel, um zu erläutern, dass wir Gott mit unseren natürlichen Augen nicht sehen können, aber wir können sehr wohl seine Wirkungen bemerken:

Wenn wir achtsam sind, dann erfreuen wir uns am Wachstum und an den Farben der Natur und danken dem Schöpfer dafür. Wenn wir freundlichen Menschen begegnen, dann ist es viel leichter, ebenfalls freundlich zu sein. Wenn meine Entschuldigung ankommt und jemand mir verzeiht, dann ist es, als ob ein Fenster aufgeht und frischer Wind hereinkommt.

Für die Ferienzeit wünsche ich Ihnen viel Rückenwind!

Olaf Mohring

Olaf Mohring

Pastor der Evangelisch Freikirchlichen Gemeinde Minden

Wo ist Gott?

Es ist Juli, und es ist immer noch Krieg in Europa. Das hätte man sich vor zwei Jahren kaum träumen lassen. Die „Glasnost“- und „Perestroika“-Politik von Gorbatschow ermöglichte damals, vor über 30 Jahren das Ende des Kalten Krieges und die Wiedervereinigung Deutschlands. Für viele Menschen – nicht für alle, ich weiß – war das ein Segen, auch für mich persönlich. Ich habe kurz nach der Wende für fast zwanzig Jahre in den „neuen Bundesländern“ gelebt und gearbeitet. Hätte nie meine liebe Frau kennengelernt, zwei unserer wunderbaren Kinder wären nicht geboren, und die dritte, unsere Älteste, wäre nicht die geworden, die sie jetzt ist. Und jetzt kam ein Wladimir Putin daher, dem nicht erst die NATO-Osterweiterung, sondern schon damals als KGB-Agent die Maßnahmen Gorbatschows ein „Stachel im Fleisch“ waren, und er versucht mit unsäglicher Gewalt, wieder an die alten Verhältnisse anzuknüpfen. Das vermag ein alter Schul- und Fußballfreund von mir, der selbst mit einer Russin seit Jahrzehnten verheiratet ist und heute als Professor für Slawistik und osteuropäische Geschichte an der Universität Tübingen arbeitet, überzeugend darzulegen. Wir beide hatten damals übrigens überzeugt den „Dienst an der Waffe“ nicht angetreten.

Ja, „Not lehrt beten!“, aber doch meist in die Richtung, dass man fragt „Wo ist ER?“ oder mit dem Psalmbeter seufzend klagt: „Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott.“ (Psalm 42,3)

Eli Wiesel, ehemaliger jüdischer KZ-Häftling schreibt in seinem Buch „Die Nacht“: „Drei Lager-Insassen kommen an den Galgen, darunter noch ein Kind. Alle anderen Inhaftierten werden gezwungen zuzuschauen. „Wo ist Gott, wo ist er?“, fragte jemand hinter mir… Mehr als eine halbe Stunde kämpfte der Junge am Galgen zwischen Leben und Sterben seinen Todeskampf. Hinter mir hörte ich es wieder fragen: „Wo ist Gott?“ Und ich hörte eine Stimme in mir antworten: „Wo er ist? Dort hängt er, am Galgen…“

Der mitleidende Gott ist der Gott, der uns hilft. Das heißt auch für uns bei aller Ohnmacht mitfühlen mit den Leidenden, helfen, wo immer und wie immer es geht. Dazu gehört dann auch, Menschen mit russischem Hintergrund bei uns unvoreingenommen zu begegnen. Eine Frau mit russland-deutschen Wurzeln sagte mir erst vor ein paar Wochen mit Tränen in den Augen: „Aber wir sind doch gar nicht alle so…“

Volker Niggemann

Volker Niggemann

Pfarrer in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde St. Marien, Pfarrbezirk St. Matthäus