Wort zum Sonntag

Das „Wort zum Sonntag“ von Pfarrerinnen und Pfarrern aus dem Mindener Land gibt es in der Samstagsausgabe des Mindener Tagesblatts – und darüber hinaus auch hier.

Wenn das Kirchenjahr pausiert

Das Kirchenjahr ist mehr als nur eine kirchliche Tradition. Für mich ist es wie ein roter Faden, der sich durch das Jahr zieht – von der stillen Erwartung im Advent über das warme Licht von Weihnachten, das Leiden in der Passionszeit bis hin zur österlichen Freude und dem Feuer von Pfingsten. Es gibt meinem Glauben einen Rhythmus und verbindet das, was ich glaube, mit dem, was ich lebe. Das ist die Theorie.
Jetzt – nach dem Pfingstfest und bevor dann endlich wieder Spekulatius in den Regalen der Geschäfte liegen – befinden wir uns in einer längeren Phase ohne große Feste. Stattdessen haben wir Zeit – Zeit, um Bekanntes und Gehörtes zu verinnerlichen und im Alltag umzusetzen. Gerade in dieser Zeit zeigt sich, wie tragfähig unser Glaube wirklich ist. Sie lädt uns ein, nicht nur Zuschauer großer Feste zu sein, sondern auch Glaubende im Alltag. Wie Maria von Bethanien, die sich einfach zu Jesu Füßen setzte (Lukas 10), oder wie Rut, die im Alltagstreiben des Lebens treu und offen blieb (Rut 1).
Diese Geschichten erinnern uns: Auch in scheinbar gewöhnlichen Tagen kann Gottes Nähe erfahrbar sein. Der Heilige Geist, den wir an Pfingsten feierten, begleitet uns nicht nur in bewegenden Momenten, sondern auch im Gewöhnlichen – beim Arbeiten, im Urlaub und bei Entscheidungen. Zwischen Pfingsten und Advent liegt eine große Chance: die Einladung, den Glauben nicht nur zu feiern, sondern einfach zu leben. Nicht spektakulär, sondern still. Nicht in großen Worten, sondern in aufmerksamen Taten. Das ist dann die Praxis. Vielleicht ist diese Zeit sogar besonders wertvoll – weil sie uns einlädt, unsere persönliche Beziehung zu Gott zu intensivieren: in der Liebe zu anderen, in der Geduld mit uns selbst. 
Wie erlebe ich meinen Glauben im Alltag? Gibt es Momente, in denen ich überraschend Gottes Nähe gespürt habe? Und was könnte mir helfen, gerade in den „stilleren Zeiten“ des Jahres geistlich wach zu bleiben?

Priester Oliver Rütten

Priester Oliver Rütten

Bezirksvorsteher Neuapostolische Kirche Minden

Wenn Wasser das Reich Gottes baut

Vor ein paar Tagen war ich im Urlaub in Spanien und hatte das Glück, genau die richtige Woche zu erwischen. Bei angenehmen 25 bis 28 Grad konnte ich es mir am Strand so richtig gemütlich machen. Der Sand schmiegte sich weich unter meine Füße und die sanften Wellen rollten im immer gleichen Rhythmus an die Küste. Die Sonne schien warm vom Himmel und hüllte alles in ein helles goldenes Licht– ein kleines Paradies auf Zeit.
Dabei war die Sorge vor dem Urlaub noch groß. Eine Woche vor unserer Abreise überschlugen sich die Nachrichten: Spanien stöhnte unter einer Hitzewelle. Temperaturen von bis zu 46 Grad in El Granado – ein neuer Juni-Rekord. Bilder von ausgetrockneten Landschaften, erschöpften Menschen und überfüllten Notfallstationen gingen durch die Medien.
Eine Woche später war diese Hitze zwar verschwunden, ihre Auswirkungen waren es aber nicht. Zivile Organisationen standen an Straßenecken und verteilten kostenlos Wasserflaschen. Ihre Vorratskisten sorgsam im Schatten geparkt. Menschen achteten aufeinander, fragten nach, ob alles in Ordnung sei. Vor allem auf Jung und Alt gab man acht – gezielt wurde nach Schattenplätzen für sie gesucht, oft begleitet von einem freundlichen Wort oder einer helfenden Hand.
Es hat mich bewegt, das zu beobachten. In diesen Handlungen erahnte ich, was Jesus gemeint haben könnte, als er sagte: „Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers.“ Jesus spricht von einer Quelle innerer Lebenskraft, die uns mit Gott und miteinander verbindet. Dieses Wasser steht für mehr als das, was wir trinken können – es steht für gelebte Nächstenliebe, für Mitgefühl und für eine wache Aufmerksamkeit füreinander. Wenn Menschen mitten in der Hitze des Alltags einander Wasser reichen, Hilfe leisten oder einfach da sind, dann fließt dieses lebendige Wasser bereits durch unsere Welt. Dann wird erfahrbar, was das Reich Gottes bedeutet: nicht fern und unerreichbar, sondern mitten unter uns, konkret und erfahrbar.

Alexander Möller

Alexander Möller

Pfarrer in der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Lahde

Mein Koffer…

Der Pulli muss noch mit. Die Sonnenmilch darf ich nicht vergessen. Klamotten für warmes und kühleres Wetter. Klar, Bücher dürfen nicht fehlen. Urlaubslektüre. Der Koffer ist sehr voll. Nur mit Mühe bekomme ich ihn zu. Er ist viel zu schwer. Ich kann ihn kaum tragen. Das geht natürlich nicht. Also öffne ich ihn und beginne auszupacken. Diese Jacke brauche ich vielleicht doch nicht. Die Jogginghose muss auch wieder raus. Nach einer Weile mache ich den Koffer wieder zu. Jetzt ist er etwas leichter. Aber schaffe ich es, ihn die Treppe runter zu tragen?
Der Lebenskoffer vieler Menschen ist schwer. Eine zerbrochene Beziehung kann auch nach längerer Zeit noch weh tun. Die Trauer um einen geliebten Menschen wiegt schwer.
Patienten und Patientinnen, die ich als Krankenhausseelsorgerin besuche, erzählen von dem, was sie mit sich schleppen, z. B. von einer schlimmen Diagnose, die Angst macht, oder von einer chronischen Erkrankung, die das ganze Leben durcheinanderbringt.
Ein Lebenskoffer lässt sich nicht einfach wieder auspacken, damit er leichter wird. Was passiert ist, kann ja nicht rückgängig gemacht werden. Was ist, wenn er zu schwer wird?
Geteiltes Leid ist halbes Leid, weiß der Volksmund. Apostel Paulus schreibt (Gal. 6, 2 BasisBibel): „Helft einander, die Lasten zu tragen. So erfüllt ihr das Gesetz, das Christus gegeben hat.“– also das Gebot der Nächstenliebe.
Eine Pflegekraft spricht einem Patienten Mut zu, und schon wird ihm etwas leichter ums Herz. Ein Seelsorgegespräch kann entlasten und helfen, den Lebenskoffer zu tragen. Auch eine Trauerbegleitung, eine Selbsthilfegruppe, eine Psychotherapie, ein Gesprächskreis in einer Kirchengemeinde.
Wer sich geliebt weiß, kann innerlich stark werden. Wer ein offenes Ohr findet, muss den Lebenskoffer nicht allein schleppen.  
Und mein Urlaubskoffer? Der war mir für die vielen Treppenstufen dann doch zu schwer. Ich habe meine Nachbarin um Hilfe gebeten. Sie hat ihn für mich sogar zu der Stelle getragen, wo ich ihn aufgeben konnte.

Pfarrerin Melanie Drucks

Pfarrerin Melanie Drucks

Ev. Krankenhausseelsorgerin, Johannes Wesling Klinikum Minden