
Wort zum Sonntag
Das „Wort zum Sonntag“ von Pfarrerinnen und Pfarrern aus dem Mindener Land gibt es in der Samstagsausgabe des Mindener Tagesblatts – und darüber hinaus auch hier.
Die Opfergabe der Witwe, Lk 21, 1 – 4 oder: Was gibt uns das?
Jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Heute heißen sie: Klimawandel, Corona, Krieg in der Ukraine, Preissteigerungen, Gasknappheit und die Liste ließe sich noch um einige weniger schlagzeilenträchtigere Krisen verlängern.
Zur Zeit Jesu gehörten Witwen zu den Verlierern in der Gesellschaft. Als verheiratete Frauen waren sie zwar versorgt aber zugleich völlig abhängig von ihren Ehemännern. Starb der Mann und konnten diese Frauen aufgrund ihres Alters keine Kinder mehr gebären, waren die Frauen der Altersarmut ausgeliefert. Soziale Absicherung? – Fehlanzeige. Dazu Seuchen, Besatzung durch die Römer, Kriege, Hunger, …
Eines Tages beobachtet Jesus mit seinen Anhängerinnen und Anhängern eine solche Witwe, die im Jerusalemer Tempel einige Münzen in den Spendenkasten einlegt. Ihm ist die soziale Lage der Frau vollends bewusst und so sagt er zu seinen Anhängerinnen und Anhängern: „Diese arme Witwe hat mehr gegeben als alle anderen. Denn alle anderen haben nur etwas von ihrem Überfluss als Spende gegeben. Aber diese Witwe hat alles gegeben, was sie zum Leben hat.“ Hier endet die Begebenheit mit dieser Frau. Jesus greift nicht ein, wie er es sonst tut, um Notleidenden zu helfen. Das finde ich nicht gut. Stattdessen kommentiert er die Szene und darin liegt eine leise, aber dennoch klare Kritik der Verhältnisse. Viele geben von ihrem Überfluss; sie, die verwitwete Frau, gibt alles. Ihr bleibt nichts.
Und heute? – Was bleibt Menschen in unserer Gesellschaft angesichts der andauernden Krise aus vielen Krisen? Die, die genug haben, bekommen noch mehr; und viele werden bald alles geben, um zu überleben. Das hat sich wohl nicht geändert. Und die Kritik bleibt leise und zeigt damals wie heute wenig Wirkung. Vielleicht aber ist es gut, dass diese Kritik so leise ist. Sie verzichtet auf die Gewalt und die Sprache der Revolution. Sie benennt aber zugleich das Unrecht, das zu allen Zeiten zwischen den Vermögenden und den Bedürftigen besteht. Sie öffnet Handlungsspielräume etwas zu verändern; und dass Jesus damals nicht eingreift und Gott heute schweigt, verlangt von Menschen endlich etwas zu tun, nachhaltig, heilsam, gemeinschaftsstiftend und versöhnend, dann könnte Leben gerettet und Friede werden; im Land und der Welt.

Christoph Kretschmer
Schulpfarrer am Freiherr-vom-Stein-Berufskolleg
Kleines Büchlein, große Wirkung
Niemand geht verloren
Ab und zu nehme ich es zur Hand und blättere drin herum. Jenes kleine, leicht abgegriffene Notizbüchlein mit dem immer noch erstaunlich gut erhaltenen Lederumschlag und dem Buchstabenregister von A bis Z. Kein Tagebuch im eigentlichen Sinne, auch wenn die ein oder andere Begebenheit kurz skizziert wurde. Und eben auf diese Weise verbunden mit Erinnerungen an so manche Gespräche mit denjenigen, deren Namen dort eingetragen sind. Neben den Telefonnummern auch die Adressen. Auffällig: Sehr viele Festnetznummern und noch vierstellige Postleitzahlen. Im Laufe der Jahre dann hinzugefügte Handynummern, fünfstellige Zahlen vor den Orten und kleine eingelegte Notizzettel. Auf diese haben sich auch E-Mail- Adressen hinzugesellt, die mehr Zeilenraum beanspruchen als die im Vergleich eher bescheiden schmal wirkenden Festnetznummern. Dieses eher unscheinbare Büchlein begleitet mich inzwischen bereits seit mehreren Jahrzehnten. Es ist somit auch ein Stück weit eigene Zeit- und Lebensgeschichte. Auf diese Weise kann ich verreisen. Nicht nur gedanklich an einen anderen Ort, sondern auch in eine andere Zeit und in die eigene Vergangenheit. Es lohnt sich, manchmal innezuhalten und sich an Situationen aus dem eigenen Leben zu erinnern. Da gab es die schweren und schicksalhaften Stunden, wo alles auf dem Spiel zu stehen schien. Es gab die langweiligen Zeiten, in denen offenbar gar nichts passierte. Und es gab die federleichten, fröhlichen Stunden, wo alles spielerisch zu gelingen schien. Dabei mögen wir sicherlich auch an die Menschen denken, denen wir begegnet sind, die wir getroffen haben und die bereit waren oder es immer noch sind, mit uns zugehen. Freude und Leid mit uns zu teilen. Menschen, deren Namen wir z.B. in einem kleinen, eher unscheinbaren Notizbüchlein aufgeschrieben haben. Nur ein kleines Büchlein, eine Telefonnummer, eine Adresse, ein Name! Und doch eine doch so große Wirkung! Ach ja, auch die Namen derjenigen, die nicht mehr da sind, habe ich nicht etwa durchgestrichen, sondern stehen lassen. Mir kommt ein Ausruf Jesu aus dem Lukasevangelium in den Sinn: „Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“ Ein tröstlicher Gedanke! Kein Mensch geht verloren! Im Übrigen können und dürfen wir auch Gott jederzeit anrufen. Der Beter in Psalm 50 hat es so formuliert: „Rufe mich an in der Not!“ Nun, es muss ja nicht immer in der Not sein.

Ekkehard Karottki
Pfarrer, Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Kleinenbremen
Zeit
In der Hand halte ich meine Sanduhr, die mir schon aus Kindertagen vertraut ist. Wie gebannt beobachte ich die rasenden Sandkörner. Sie machen anschaulich, wie schnell die Zeit vergeht. Haben wir nicht gefühlt noch vorgestern aufs neue Jahr angestoßen? Bald ist der Sommer vorüber, der Herbst steht vor der Tür.
Vielleicht haben Sie schon einmal von Chronos gehört. Er zählt zu den Göttern der alten Griechen. Dargestellt wird er mit einer Sanduhr. Der Gott Chronos steht für die Zeit, die dahinplätschert, die abläuft, die vergeht. Chronos ist z.B. die Zeit des Urlaubs, die Dauer eines Festes, die Lebenszeit.
Kairos war ein weiterer Gott der alten Griechen: Ein dynamischer Typ, der mit seinen Flügeln an Füßen und Rücken schnell unterwegs ist. Seine Frisur: Ein Haarschopf vorn und ein kahler Hinterkopf.
Kairos steht für die Gelegenheit. Nur jetzt habe ich die Möglichkeit, ein Angebot anzunehmen; nur jetzt habe ich die Gelegenheit, das Problem zu lösen… Ich sollte Kairos unverzüglich am Haarschopf packen, sonst ist er vorüber gesaust; Ich sollte die Gelegenheit am Schopf packen, sonst ist sie weg! Vielleicht ist gerade jetzt die Zeit, sich zu versöhnen; …um Klartext zu sprechen; …um für Gerechtigkeit einzutreten; …um zu helfen.
Sie kennen alle das englische Wort „present“ (= Geschenk; Gegenwart). Jesus hat uns gesagt: „Die Zeit ist erfüllt! Das Reich Gottes ist schon angebrochen! Das Reich Gottes ist mitten unter Euch!“ – Die erfüllte Zeit, das Geschenk des rechten Augenblicks, ist in unserem Alltag hier und jetzt zu finden. Wir sollten nur wachsam sein und zupacken, um die Gelegenheit zu ergreifen.
Der Sand in meiner Sanduhr ist mittlerweile durchgelaufen, ich ergreife aber noch diese Gelegenheit für Wünsche: Ich wünsche uns allen offene Augen und Ohren, um im Leben wichtige Gelegenheiten zu erkennen. Und wünsche ich uns allen eine kräftige Hand zum Zupacken: Sie wissen schon: vorne am Schopf, denn der Hinterkopf ist kahl…

Michaela Langner
Gemeindereferentin der Kath. Kirchengemeinde St. Paulus Minden