
Wort zum Sonntag
Das „Wort zum Sonntag“ von Pfarrerinnen und Pfarrern aus dem Mindener Land gibt es in der Samstagsausgabe des Mindener Tagesblatts – und darüber hinaus auch hier.
Fasten ist gut, nicht fasten auch.
Fasten ist gut, nicht fasten auch. In beiden Fällen können wir Gott und die eigene Seele spüren – wenn er es will. Gott lässt sich weder herbei fasten noch herbei schwelgen. Mal begegnet er hier, mal dort. Auf der Geburtsstation, im Sterbezimmer. In jedem Fall öffnet er mir die Augen, mich und die Welt neu zu sehen.
In diesem Jahr habe ich mich für‘s Nicht-Fasten entschieden. Mit Kaffee, Schokolade und anderen Lieblingslastern mache ich mir diese bitteren Wochen genießbar. „Pecca fortiter – sündige kräftig!“ Der Heilige Augustinus wusste, wovon er sprach. Ich habe sogar schon, offen gestanden, eine Tüte mit Ostereiern weggelutscht, die mich so angeschmachtet haben.
Wenn fasten, dann am besten gezwungen. Vielleicht hat Gott uns ja dazu Corona geschickt (wenn er es geschickt hat), dass wir kapieren, wie kostbar ein Leben in Gesundheit ist, an welch‘ hauchdünnem Fädchen unsre scheinomnipotente Zivilisation baumelt. Kleine Mutation hier, kleine Nebenwirkung dort, schon purzeln alle Strategien durcheinander. Heißdiskutierte Konzepte, wann Gottesdienste in Kirchen, Synagogen und Moscheen wieder beginnen, fliegen in den Schredder.
Jammern, Schimpfen, Schuldige suchen – das ist nicht der kreative Weg des Glaubens. Wie wäre es mit der Weisheit des Rabbi Sussija: Als sein Esel von einem Bären gefressen war, lief er tagelang jubilierend durch’s Städtel. Nach dem Warum gefragt, antwortete er: „Ich will Gott danken, dass ich nicht auf dem Esel gesessen habe. Sonst wäre ich nicht hier“.
Recht hat der Rabbi, auch heute: Was hätte uns alles sonst noch passieren können?! Vor wieviel Schlimmerem sind wir bewahrt worden? Wofür könnten wir nicht alles, auch in diesen Wochen, danken – als Gesellschaft, als Kirche, ganz persönlich? Einen kräftigen Schuss von dieser jüdischen Weisheit wünsche ich auch mir und Ihnen – vielleicht gereicht uns die herbe Suppe, die wir in dieser Zeit löffeln müssen, damit am Ende ja zum Guten.

Andreas Brügmann
Pfarrer in der Offenen Kirche St. Simeonis
Zeit für Freiräume
Du stellst meine Füße auf weiten Raum – Psalm 31,9
„Für mich wird der Raum immer enger“, entgegnet mir die ältere Dame, „erst bin ich aus dem Haus in die Mietwohnung gezogen und jetzt wohne ich in einem Zimmerchen im Pflegeheim. Mein Lebensraum wird immer kleiner“.
„Eigentlich wollte ich diesen Sommer nach dem Abi reisen. Ich weiß noch nicht genau. Vielleicht mache ich auch ein Jahr was Soziales. Ein Studium online aus dem alten Kinderzimmer heraus kann ich mir nicht vorstellen. Aber so richtig viele Möglichkeiten habe ich ja nicht“.
„Ich faste schon das ganze Jahr Veranstaltungen“ sagt mir der Veranstaltungstechniker „viel weniger geht kaum. Jetzt ist es richtig eng.
Wer Psalm 31 mitbetet, der bewegt darin Erfahrungen von Krankheit, Einsamkeit, Verzweiflung und Verleumdung. Wir werden mitgenommen in ein Auf und Ab der Gefühle, zwischen Ausweglosigkeit und Zuversicht. Aus der Enge der Angst werden wir in die Weite der Hoffnung und des Vertrauens geführt. Gott stellt unsere Füße auf weiten Raum.
In der Passionszeit versuchen wir das Leiden Jesu nachzuempfinden: Immer enger wird es um ihn, bis er stirbt. Mit Jesu Leiden stellen sich die großen Fragen des Lebens: Lohnt sich das Vertrauen in Gott? Was bleibt von meinem Leben und Glauben? Geht es gut aus?
Gott stellt meine Füße auf weiten Raum. An der Auferstehung Jesu Christi hat Gott gezeigt, dass ihm Neuanfänge immer möglich sind. Er schafft es, dass ich in meinen begrenzten Räumen trotzdem Weite und Hoffnung habe. Er schafft es, dass ich glauben kann, dass ER immer noch eine Möglichkeit mehr hat.
Indem ich ein Gebet spreche, kann ich mich für Gottes Wirklichkeit öffnen. Ich kann eine Zeit der Besinnung in einer der offenen Kirchen nutzen.
Ich wünsche ihnen in der Passionszeit einen lohnenden Blickwechsel.

Olaf Mohring
Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Minden
vom Loslassen und Aufgeben…..
Kennen sie das?
Mitten im Lockdown, aus Mangel an anderen Aufgaben fange ich an aufzuräumen. Ich nehme Dinge in die Hand und frage mich: Wird das noch gebraucht oder kann das weg? Ich tu mich schwer. Immerhin bin ich so erzogen worden und habe die Worte meiner Mutter im Ohr, dass man Dinge, die nicht kaputt sind, noch irgendwann gebrauchen könnte. Also wird der Haufen „Das könnte man ja nochmal brauchen“ immer größer. Es ist ein Kampf.
Aufräumen, entrümpeln ist so etwas wie die Suche nach innerer Ordnung und Klarheit, wo die Welt da draußen doch so unendlich verworren und kompliziert geworden ist. Aufräumen scheint ein Trend geworden zu sein, man kann sich neuerdings auch professionell coachen lassen. Es fällt wohl auch anderen schwer, sich von Dingen zu trennen, die gewohnt und liebgewonnen zu einem Teil des Lebens geworden sind.
In der Passionszeit, in der wir zum Fasten angeregt sind, um uns besser darauf zu besinnen, welche Bedeutung das Leiden und Sterben Jesu für unser Leben hat, können solche Alltagsfragen als Bild für große Lebensfragen dienen. Jesus hat im Johannesevangelium ein alltägliches Bild gebraucht, um den Menschen in seiner Umgebung sein bevorstehendes Leiden und seinen Tod am Kreuz zu erklären: „Das Weizenkorn muss in die Erde fallen und sterben, sonst bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. Wem sein Leben über alles geht, der verliert es. Aber wer sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben“. Ich merke, da redet Jesus nicht nur von sich selbst, sondern das hat etwas zu tun mit mir und meinem Leben, mit unser aller Leben. Das ist ein Bild, das ich verstehen kann, ganz besonders im Frühling. Ein Saatkorn, das ich im Tütchen lasse und vergesse, wird keine reiche Ernte bringen, sondern verliert seine Kraft. Es muss in die Erde, es muss sich verwandeln, als Pflanze wachsen und gedeihen und ich muss geduldig sein und es pflegen. Wenn mein Leben Früchte tragen soll, darf ich die Dinge, Verhaltensweisen und Gewohnheiten, von denen ich glaube, dass sie mein Leben absichern, nicht ängstlich hüten und festhalten, sondern muss sie überdenken, loslassen und – wenn nötig – aufgeben. Seit Ostern wissen wir Christen, dass der Tod nicht endgültige Macht über unser Leben hat, sondern, dass das Leben und die Liebe das letzte Wort haben.
Mir wird immer klarer: Je größer meine Bereitschaft loszulassen, eventuell Pläne und Projekten aufgeben, die nicht realisierbar sind und mich eben manchmal auch von Dingen und sogar von Menschen zu verabschieden, desto mehr wird mein Leben auf Hoffnung und Zukunft ausgerichtet sein. Meine Sehnsucht nach der alten Ordnung, nach der alten Freiheit in diesen Tagen wandelt sich in Hoffnung, dass auch altbekannte Strukturen in großen Systemen wie der Kirche, dem Staat und der Gesellschaft sterben müssen, damit neue zukunftsfähige Lebendigkeit einzieht.

Maike Brodowski-Stetter
Pfarrerin am Leo-Sympher-Berufskolleg